„Nie endgültig! Das Museum im Wandel“, 28. März 2025 bis 12. April 2026, Foto: Niko Havranek
Wir müssen beständig und flexibel sein
Von:
Nina Schedlmayr (Kulturjournalistin und Kunstkritikerin, Chefredakteurin morgen, Wien), Wien
Die Kunsthistorikerin Marie-Therese Hochwartner leitet im mumok – Museum für moderne Kunst Stiftung Ludwig die Abteilung für Kunstvermittlung und Wissensmanagement sowie die Abteilung Sammlung. Mit Nina Schedlmayr sprach sie über die von ihr kuratierte Ausstellung Nie endgültig! Das Museum im Wandel, mediale Diskurse über Museen, neue Herausforderungen und darüber, wie Jugendliche die Datenbank des mumok erweitern.
Nina Schedlmayr: Die von Ihnen kuratierte aktuelle Ausstellung im mumok Nie endgültig! Das Museum im Wandel blickt auf die Ära von Dieter Ronte als Direktor des Museums zurück. Warum ist das für ein Publikum des 21. Jahrhunderts interessant?
Marie-Therese Hochwartner: Die Ausstellung folgt einer Reihe, die sich seit 2016 mit der Geschichte des Hauses auseinandersetzt. In den 1970er-Jahren lud Hans Mayr, der damalige Präsident des Künstlerhauses, das Sammlerehepaar Peter und Irene Ludwig ein, ihre Werke in Wien zu zeigen. Rasch entstanden Überlegungen, Teile dieser Sammlung dauerhaft nach Wien zu holen. Entscheidende Unterstützung kam damals von der zuständigen Ministerin Hertha Firnberg. Gleichzeitig wurde Kontakt zu Wolfgang Hahn aufgebaut, Chefrestaurator des Kölner Wallraff-Richartz-Museums und enger Vertrauter der Ludwigs. Hahn plante, seine eigene Sammlung rasch zu verkaufen, eine Gelegenheit, die von der österreichischen Regierung ergriffen wurde. Diese Bereitschaft überzeugte auch Ludwig davon, Teile seiner Sammlung Wien zu überlassen, allerdings unter der Voraussetzung, dass ein neues Gebäude zur Verfügung gestellt würde. Unsere Ausstellung jetzt reicht von 1978 bis 1989, was nicht ganz Rontes Zeit entspricht, eine Periode, die strategische Entscheidungen sichtbar macht und zeigt, wie die Regierung damals die Bundesmuseen zukunftsweisend gestalten wollte. Gleichzeitig verdeutlicht die Schau, wie zwei internationale, unterschiedlich ausgerichtete Sammlungen einander ergänzen und bereichern. Gemeinsam mit dem Designer Robert Rüf entwickelten wir für die Ausstellung eigene Möbel, wie etwa eine großzügige Atriumstreppe, auf der Besucher:innen Platz nehmen können. Dieser Bereich wirkt als Studienraum und als Ort einer lebendigen Sammlungspräsentation.
Nina Schedlmayr: Wie nimmt das Publikum dieses Angebot an?
Marie-Therese Hochwartner: Die Bücher und Dokumente werden sehr intensiv genutzt, die Besucher:innen diskutieren miteinander und nutzen die Atriumstreppe und die zur Verfügung stehenden Sitzgelegenheiten als gemeinsamen Denkort. Es ist eine laute Ausstellung – keine, in der man kontemplieren kann. Für die Kolleg:innen kann das auch anstrengend sein.
Nina Schedlmayr: Noch einmal zurück zur Frage nach der Relevanz dieser Vorgänge für die Gegenwart. Ein TV-Ausschnitt des ORF-Diskussionsformats Club 2 in der Ausstellung zeigt beispielsweise heftige Debatten über die Sammlungspolitik, wie man sie im 21. Jahrhundert nie sehen würde. Wie lässt sich das in Hinblick auf gegenwärtige Diskurse und ihre mediale Präsenz einordnen?
Marie-Therese Hochwartner: Aus heutiger Sicht überrascht, wie offen Debatten geführt wurden. Da sagt Werner Hofmann, damals Ex-mumok-Direktor, die Ministerin kaufe mit der Sammlung Hahn eine, die nur Müll enthalte. Überhaupt hieß es über diese, die Objekte seien „Mist“. Die damaligen TV-Diskussionen zeigen, wie offen und kontrovers Sammlungspolitik verhandelt wurde. Heute werden solche Debatten im musealen Bereich breiter und partizipativer geführt, aber vielleicht auch weniger sichtbar. Sie finden zu einem gewissen Teil vor Ort, in sozialen Medien und in unseren partizipativen Programmen statt. Der historische Blick macht deutlich, wie wichtig eine offen sichtbare Streitkultur bleibt.
Nina Schedlmayr: Ist diese in der Gegenwart vorhanden?
Marie-Therese Hochwartner: Nein. Immer wird die Frage gestellt, wie gesellschaftlich relevant Museen heute seien. Aber wie? Wir zeigen in der Ausstellung zu Beginn eine Arbeit, die als erste in die Ludwig Stiftung kam, die großen Puppen-Sitzgruppe von Eva Aeppli. Darin ist ihre künstlerische Verarbeitung der NS-Geschichte eingeschrieben. In den aktuellen gesellschaftlichen Debatten kann man das mitdenken. Es ist wichtig, die Diversität und Heterogenität der Sammlungen im Fokus zu haben. Das letzte Mal war Aepplis Arbeit in den 1980er-Jahren ausgestellt.
Nina Schedlmayr: Sprechen wir über Ihre Verantwortungsbereiche im Museum. Sie leiten die Sammlung ebenso wie Vermittlungs- und Wissensmanagement. Der letztere Begriff ist noch nicht so gut eingeführt wie jener der Vermittlung. Was genau kann man darunter verstehen?
Marie-Therese Hochwartner: Wissensmanagement beschreibt bei uns den Kreislauf vom Generieren über das Teilen bis zum Rückfluss von Wissen. Wir schaffen Strukturen, in denen das Expert:innenwissen unserer Besucher:innen, der Forscher:innen und der Mitarbeiter:innen zusammenkommt und in Angebote sowie Sammlungsentscheidungen übersetzt wird.
Nina Schedlmayr: Früher waren Sammlung und Vermittlung getrennt, warum legte man sie zusammen?
Marie-Therese Hochwartner: Der Grundgedanke ist, Bildung und Wissenschaft gemeinsam zu denken: Wie können wir Bildung unmittelbarer an die Menschen bringen? Es geht auch um die Frage, wie viele Perspektiven kann man in die Forschung holen und wie diese fruchtbar machen?
Nina Schedlmayr: Sie waren vor 20 Jahren erstmals am Haus tätig und sind seit 2012 fix hier. Wie hat sich die Museumsarbeit seither verändert?
Marie-Therese Hochwartner: Die Anforderungen ändern sich schnell, wir müssen gleichzeitig beständig und flexibel sein. Wir können nicht mehr in Wissenssilos denken, sondern müssen abteilungsübergreifend und publikumszentriert arbeiten, das kulturelle Narrativ gemeinsam mit Publikum und externen Expertinnen gestalten. Museumsarbeit ist heute vernetzter denn je. Und: Noch nie war es so einfach, Einblick in die Sammlung zu erhalten, etwa durch Onlinesammlungen, aber auch Formate auf sozialen Medien.
Nina Schedlmayr: Zur Verwaltung einer Sammlung gehört viel Administration. Ist Ihr Job manchmal auch sehr bürokratisch?
Marie-Therese Hochwartner: Es ist tatsächlich viel Bürokratie, aber auch viel Verantwortung. Sorgfältige Dokumentations- und Sicherungsprozesse gewährleisten, dass die einzigartigen Werke langfristig erhalten bleiben. Gleichwertig wichtig ist das Know-how unseres Teams – ohne dessen Expertise wäre diese Aufgabe nicht zu meistern.
Nina Schedlmayr: Sie konzentrieren sich auch stark auf die Zielgruppe Jugendliche und junge Erwachsene wie bspw. im Projekt Ludwig goes digital.
Marie-Therese Hochwartner: Schon seit 2018 gab es am Haus Programmierkurse für Jugendliche. Sie beschäftigten sich auch mit den Sammlungen. Da entstand die Idee, diese genauer miteinander aufzuarbeiten. Anfänglich recherchierten die Jugendlichen, was das Ehepaar Ludwig gesammelt hat, dazu bauten wir eine digitale Forschungsinfrastruktur auf.
Nina Schedlmayr: Wie genau haben die Jugendlichen recherchiert?
Marie-Therese Hochwartner: Online, aber auch analog in unserer Bibliothek und in Ausstellungen direkt vor Objekten. Wenn ihnen etwas aufgefallen ist, haben wir das besprochen, und sie haben es in die Datenbank eingetragen. In Form von Recherchenotizen, selbstgestalteten generativen Kunstwerken und Objektinfos kam so viel Neues zusammen.
Nina Schedlmayr: Und sind die Informationen, die sie eintragen, wissenschaftlich gesichert?
Marie-Therese Hochwartner: Ja, alle Einträge werden von unserer Sammlungsdokumentation geprüft und, falls nötig, durch zusätzliche Quellen ergänzt.
Nina Schedlmayr: Also es läuft so ähnlich wie ein Citizen-Science-Projekt?
Marie-Therese Hochwartner: Es ist ein kuratiertes Citizen-Science-Format: Die Jugendlichen verpflichten sich langfristig, erhalten vertiefte Schulungen und bringen ihr Wissen kontinuierlich ein – ein Gewinn für sie und für das Museum.
Nina Schedlmayr: Im ersten Teil von <i>Ludwig goes digital</i> wurde die Datenbank zur Sammlung Ludwig also mit Informationen angereichert. Und im zweiten?
Marie-Therese Hochwartner: Da geht es darum, wie man auf Sammlungen schauen kann, wenn man vom Objekt weggeht. Wie macht man Datensammlungen Nutzerinnen und Besucherinnen zugänglich? Die Programmierfirma Semantics von Walter Nagl setzte gemeinsam mit Jugendlichen eine Visualisierung der Sammlung in Form einer interaktiven Graph-Datenbank auf: eine Art Galaxie, in der man Bezüge der Objekte zueinander befragen kann. Zum Beispiel auf Herkunft oder Material.
Nina Schedlmayr: Was geschieht mit diesen Informationen?
Marie-Therese Hochwartner: Wir analysieren, welche Themen die Jugendlichen besonders interessieren, und integrieren ihre Perspektiven in Ausstellungen, Online-Inhalte und Bildungskonzepte.
Nina Schedlmayr: Das heißt, das Ziel ist, Jugendlichen eine Art erweitertes Proseminar zu geben?
Marie-Therese Hochwartner: Es geht darum, zu zeigen, wie wir mit unserer Sammlung zu einem humanistischen Bildungsideal beitragen können: Digital Literacy und das Erkennen von Fake News sind wichtige Kompetenzen. Wir vermitteln Kunst- und Kulturgeschichte, Quellenkritik, kreatives Programmieren und digitale Kompetenzen. Die Jugendlichen erleben, wie akribische Recherche und offenes Teilen von Wissen zusammengehören – eine Kernkompetenz in Zeiten von Desinformation.








