Mit Disney auf Schatzsuche oder: Braucht die Demokratie das Museum?
Von:
Gottfried Fliedl (Museologe), Hohenems
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Als Fan von Nicholas Cage war es für mich keine Frage, mir den 2004 in den USA erschienenen Film National Treasure anzusehen, in dem er die Hauptrolle spielt und der in Österreich und Deutschland unter dem Titel Das Vermächtnis der Tempelritter gezeigt wurde. Auf den ersten Blick wirkt der Film wie ein etwas blasser Aufguss des zwanzig Jahre zuvor entstandenen Jäger des verlorenen Schatzes von Steven Spielberg. Allerdings erzählt National Treasure mehr als eine einer blühenden Fantasie entstammende Abenteuergeschichte. Er bezieht sich auf die Entstehungsgeschichte der USA und ihre demokratische Verfassung und spielt teilweise an historischen Schau- und Geburtsplätzen der Nation.
Der Film hat einen Subtext, der von der Bedeutung materieller und ideeller Überlieferung erzählt, von Schätzen im wörtlichen und im übertragenen Sinn, die die als Nation geeinte Gesellschaft repräsentieren. Er stellt unter der Oberfläche einer Schatzsuche die Frage nach der Beziehung von Demokratie, Museum und Nation und wirft dabei Fragen auf, die am Beginn der Entwicklung des Museums in der Französischen Revolution dringlich waren. Davon später, zuerst zum Plot des Films.
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Er beginnt mit der fantastischen Geschichte eines über Jahrhunderte hinweg akkumulierten Schatzes, der schließlich in den frühen Tagen der Amerikanischen Revolution der jungen Nation zufällt. Er wird von den Founding Fathers der United States bewahrt und so gut versteckt, dass er seither als verschollen gilt. Doch hat sich in der Familie Gates die Erinnerung an einen Vorfahren erhalten, den historischen Charles Carroll, den letzten überlebenden Unterzeichner der Unabhängigkeitserklärung. Denn der war auch ein letzter Zeuge für die Existenz des Schatzes, und seither fühlen sich die männlichen Mitglieder der Familie Gates verpflichtet, die Suche nach dem kollektiven Erbe innerhalb der Familie zu betreiben. Mit John Adams Gates (Christopher Plummer) setzt die Geschichte ein, der – eher scherzhaft – seinen Enkel zum „Tempelritter“ initiiert. Dieser Enkel ist der Held unserer Geschichte: Benjamin Franklin Gates (Nicholas Cage), der als Erwachsener tatsächlich auf Schatzsuche geht, beginnend in einem im ewigen Eis zerschellten Schiff, wo er Hinweise auf eine Schatzkarte findet.
Doch diese Karte ist auf einem einzigartigen und außergewöhnlich behüteten und geschützten Dokument zu finden: auf der Rückseite der Declaration of Independence, die in den National Archives in Washington aufbewahrt und öffentlich ausgestellt wird.
Hier beginnt sich nun die rein fiktionale Erzählung von der Schatzbildung mit der realen Geschichte zu überschneiden. Der Schnittpunkt der beiden Geschichten liegt ausgerechnet im Gründungsdokument der Vereinigten Staaten von 1776, das nun – in der Filmerzählung – zwei Seiten hat, die die beiden Geschichten repräsentieren: den Verfassungstext, den bis heute gültigen Gesellschaftsvertrag der USA, die reale Historie, und die Karte auf seiner Rückseite, die legendäre Erzählung von der Schatzbildung.
Wir haben es mit zwei Geschichten zu tun, die von Schätzen erzählen. Da ist einmal der sagenhafte Schatz, den man sich als ein von den Gründungsvätern der Nation vorsorglich gehütetes gemeinschaftliches Erbe vorstellen soll, als genau das, was der französische Begriff patrimoine bedeutet: väterliches Erbe. Ein Schatz, der – wie wir gleich sehen werden – eng mit der Vorgeschichte der Amerikanischen Revolution verbunden ist, die – und das ist der zweite „Schatz“ – im demokratischen Gesellschaftsentwurf der Unabhängigkeitserklärung gipfelt.
Beides sind Common Objects, in denen sich die Nation als solche wieder erkennt und ihre Gemeinsamkeit repräsentiert. Der Originaltitel des Films ist da unmissverständlich: National Treasure.
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Die Unabhängigkeitserklärung ist wohl das bestgesicherte Objekt der USA. Wie also an das Dokument – und damit an die Schatzkarte – herankommen? Hier greifen die Drehbuchautoren zu einem hübschen Trick: Sie stellen der Hauptfigur, dem historisch beschlagenen Benjamin Franklin Gates, den Computerfreak Riley Poole (Justin Bartha) zur Seite. Dieser knackt das Sicherheitssystem, während der geschichtsbewusste Gates die kniffligen Rätsel löst, die die Jagd nach dem Schatz entlang historischer Orte auslösen. Ideal ergänzen sich hier die Repräsentanten der technisch-zivilisatorischen und der historisch-politischen USA.
Die Schatzsuche wäre langweilig, fände sie nicht in dramatischer Konkurrenz statt. Eine Gang unter der Führung von Ian Howe (Sean Bean) ist ebenfalls hinter dem Schatz her – aus rein materiellem Interesse.
Immer verfolgt von der auf den Raub des Dokuments erpichten Bande, gerät die Suche zu einer Schnitzeljagd entlang eines Parcours durch die Frühgeschichte der Nation. Es sind Lieux de mémoire wie die Independence Hall in Philadelphia, wo die Unabhängigkeitserklärung angenommen wurde, oder die Liberty Bell, die Glocke, die anlässlich ihrer ersten öffentlichen Verlesung geläutet wurde, oder die Trinity Church, auf deren benachbartem Friedhof bedeutende Persönlichkeiten der amerikanischen Geschichte bestattet sind. Der Friedhof ist der Ort, unter dem sich der Schatz schließlich finden wird.
Dass der Nabel des Films tatsächlich der ideelle Schatz des in der Unabhängigkeitserklärung festgehaltenen demokratischen Vermächtnisses ist, wird deutlich, als Gates und sein Freund die National Archives zur Erkundung besuchen, wie man denn an den Text herankäme. Da liest Gates eine Passage aus dem Dokument vor. In ihr ist von der Bedrohung der Demokratie und ihrer Zerstörung durch Despotismus die Rede. In diesem Fall hat nicht nur jedermann das Recht, sondern die Pflicht, die Regierung zu beseitigen. Hier der Wortlaut, unverändert ins Drehbuch übernommen: „Aber wenn eine lange Reihe von Missbräuchen und Übergriffen, die stets das gleiche Ziel verfolgen, die Absicht erkennen lässt, sich absolutem Despotismus zu unterwerfen, so ist es ihr Recht, ist es ihre Pflicht, eine solche Regierung zu beseitigen und neue Wächter für ihre künftige Sicherheit zu bestellen.“
Der Satz enthält einen nicht auflösbaren Widerspruch: Um die Demokratie zu retten, muss sie zerstört werden; es müssen die ihr zugrunde liegenden Regeln außer Kraft gesetzt werden – gerade um ihrer Wiederherstellung willen. Wie soll das aber bei einer „despotischen“ Regierung anders als gewaltsam und unter Bruch demokratischer Regeln möglich sein?
Die Passage ermutigt zu einem wehrhaften Verständnis von Demokratie, die es stets wachsam zu verteidigen gilt. Andererseits spricht sie von der „permanenten Krise“ der Demokratie: Der Platz der Macht darf nie dauerhaft besetzt werden – das ist „Despotismus“. Die Tragweite der Passage versteht heute, in der Ära Trump, jeder. Aber um Demokratie zu retten und zu bewahren, bedarf es eines Aktes der (Wieder-)Herstellung der Gemeinschaft. Es bedarf einer Übereinkunft einer Gruppe von Menschen, dass sie – und wie sie – zusammenleben wollen.
Sehen wir uns an, wie das in der Praxis ausgesehen hat, am Beispiel der Entstehung der Vereinigten Staaten von Amerika und der Französischen Revolution. Die englischen Kolonien in Nordamerika brechen mit dem Mutterland – und damit mit der Souveränität des englischen Königs. In Frankreich beseitigt knapp zwanzig Jahre später die Revolution das absolutistische Königtum. In beiden Fällen treten an die Stelle des Alten demokratisch verfasste Staaten.
In den USA wird der geschichtliche Vorgang mit der Unterzeichnung der Unabhängigkeitserklärung (1776) besiegelt, in Frankreich mit einem nationalen Fest, der Fête de l’Unité (10. August 1793), und – am selben Tag und als Teil des Festes – mit der Eröffnung des Museums im Louvre.
Wenn der französische König als gewöhnlicher Bürger Capet hingerichtet und damit seine transzendentale Rolle als von Gott allein legitimierter Ludwig XIV. zerstört wird, zerstört man das Zentrum, um das sich die Gemeinschaft sammelt. Dieser Verlust der Mitte wird jedoch als gefahrvoll erfahren, und so versucht man, mit einem „höheren Wesen“ oder einer Vernunftreligion ein neues Zentrum zu stiften. Ein anderes „Ding“, das nun ins Zentrum rückt, sind die Sammlungen, die man anlegt und mit denen Museen gegründet werden. Sie scheinen den verschwundenen, hingerichteten Körper des Königs ersetzen zu können. Das große nationale Kunstmuseum, das Museum français, wird ja genau an die Stelle verpflanzt, die frei und leer geworden ist durch die Abschaffung des Königtums – im Königsschloss, im Louvre.
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Die Leere der Mitte, der leere Platz der Macht (der periodisch durch Wahlen bestimmt und nur befristet besetzt werden darf), der die Demokratie auszeichnet, ist und bleibt eine permanente Herausforderung. Sie ist nicht nur von Despoten gefährdet, sondern auch vom Unvermögen, diesen Platz wirklich leer zu halten und diese Leere auszuhalten. Denn die Gemeinschaft benötigt „etwas“ in der Mitte, ein „Ding“, mit dem sie sich identifiziert – symbolisch zum Beispiel mit einer Flagge, einer Hymne oder einem (National-)Feiertag. Ohne ein solches „Ding“, ohne „res“, keine „res publica“.
Die Antwort der Französischen Revolution auf dieses Problem ist die Schaffung eines kulturellen Körpers, eines patrimoine, der in Museen bewahrt und gezeigt wird. Die Antwort der Disney-Studios ist, dass es einen zweifachen Schatz gibt: das materielle und kulturelle Erbe und andererseits ein ideelles Vermächtnis – die Verfassung, in der festgelegt ist, wie die Gesellschaft existieren soll und kann. Wäre es nicht naheliegend, den Schatz, wenn er einmal gefunden ist, in ein Museum zu bringen? Wir werden sehen.
Das deutsche Wort „Ding“ bezeichnet sowohl das, was wir auch als Sache, Objekt oder Gegenstand bezeichnen, als auch das Sich-Sammeln um eine Sache. „Ding“ ist vom altgermanischen Wort „thing“ abgeleitet, das die Versammlung bedeutet, auf der über die gemeinsamen Angelegenheiten entschieden wird.
Beide Objekte in National Treasure – der materielle Schatz und die Idee der Demokratie als ideeller Schatz – können als „Common Objects“ verstanden werden, die beide die Geschichte und Identität der Nation repräsentieren.
Und so wie der Schatz gesucht und gefunden werden will, um eine Verpflichtung der Väter einzulösen, so muss auch die in der Unabhängigkeitserklärung niedergelegte Gründungsidee der Nation – immer wieder – „wiedergefunden“ werden, in einer nie endenden Relektüre, einer immer wieder erneuerten Erinnerung an ihre Bedeutung. Keines der historischen Museen der USA, die ich kennengelernt habe, verzichtet auf eine energische Bezugnahme auf diesen Gründungsakt der Nation, auf ein Wiederaufrufen ihrer Bedeutung. Genau darauf zielt aktuell Donald Trump mit dem Angriff auf die nationalen Museen der Smithsonian Institution. Ihm geht es nicht bloß um „spaltende“ Inhalte von Ausstellungen, sondern um das Stillstellen der demokratischen Dynamik.
Das deutsche Wort „Ding“ bezeichnet sowohl das, was wir auch als Sache, Objekt oder Gegenstand bezeichnen, als auch das Sich-Sammeln um eine Sache. „Ding“ ist vom altgermanischen Wort „thing“ abgeleitet, das die Versammlung bedeutet, auf der über die gemeinsamen Angelegenheiten entschieden wird.
Beide Objekte in National Treasure – der materielle Schatz und die Idee der Demokratie als ideeller Schatz – können als „Common Objects“ verstanden werden, die beide die Geschichte und Identität der Nation repräsentieren.
Und so wie der Schatz gesucht und gefunden werden will, um eine Verpflichtung der Väter einzulösen, so muss auch die in der Unabhängigkeitserklärung niedergelegte Gründungsidee der Nation – immer wieder – „wiedergefunden“ werden, in einer nie endenden Relektüre, einer immer wieder erneuerten Erinnerung an ihre Bedeutung. Keines der historischen Museen der USA, die ich kennengelernt habe, verzichtet auf eine energische Bezugnahme auf diesen Gründungsakt der Nation, auf ein Wiederaufrufen ihrer Bedeutung. Genau darauf zielt aktuell Donald Trump mit dem Angriff auf die nationalen Museen der Smithsonian Institution. Ihm geht es nicht bloß um „spaltende“ Inhalte von Ausstellungen, sondern um das Stillstellen der demokratischen Dynamik.
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Wie geht es denn nun in unserem Film weiter – mit der Suche nach dem Schatz? Nun, er wird tatsächlich gefunden, nach einem gefahrvollen Abstieg in ein Höhlensystem. Inzwischen haben sich nach lange anhaltender Skepsis John Patrick Gates (Jon Voight), der Vater unseres Schatzsuchers, und Abigail Chase (Diane Kruger) von den National Archives hinzugesellt. Sie hatte die Schatzkartengeschichte zunächst für Unsinn gehalten, musste aber angesichts des Diebstahls der Unabhängigkeitserklärung handeln.
Wir dürfen mit den erfolgreichen Schatzsucher:innen erleben, wie in den von ihnen entfachten Feuern ein nächtlich irisierendes Tableau von flammenerleuchteten Räumen, gefüllt mit Kostbarkeiten, aus tiefster Finsternis aufleuchtet. Objekte aus aller Herren Länder und aus allen Zeiten tauchen aus dem Dunkel auf – ein Musée Imaginaire, das alles zu übertreffen scheint, was man sich je unter einer musealen Sammlung hätte vorstellen können.
Wir dürfen mit den erfolgreichen Schatzsucher:innen erleben, wie in den von ihnen entfachten Feuern ein nächtlich irisierendes Tableau von flammenerleuchteten Räumen, gefüllt mit Kostbarkeiten, aus tiefster Finsternis aufleuchtet. Objekte aus aller Herren Länder und aus allen Zeiten tauchen aus dem Dunkel auf – ein Musée Imaginaire, das alles zu übertreffen scheint, was man sich je unter einer musealen Sammlung hätte vorstellen können.
Und nun? Der Schatz ist entdeckt, die Unabhängigkeitserklärung ist ins Archiv zurückgekehrt – was kann noch kommen? Der Film hält eine Pointe für uns bereit: Der naheliegende Schritt, den Schatz nach seiner Bergung zu einem nationalen, in einem Museum aufbewahrten Schatz zu machen, findet nicht statt.
Die beiden Helden werden mit ihnen adäquaten „Schätzen“ belohnt: Der Computer- und Technikfreak Riley Poole bekommt einen knallroten Sportwagen, und Benjamin Franklin Gates die in solchen Filmen nie fehlende blonde Frau, Abigail. Happy Endings für beide.
Und der Schatz? Der kommt tatsächlich ins Museum – aber, und das ist die Pointe –, nicht nur in ein amerikanisches und nicht nur in ein Museum. Er wird – eine universelle demokratische Geste, die mit einer inzwischen bis zur Unkenntlichkeit verblassten Idee amerikanischer Außenpolitik korrespondiert, die Idee der Demokratie weltweit zu verbreiten – auf Museen in aller Welt verteilt. Der geborgene Schatz wird zum Welterbe. Und so endet der Film, wie er begonnen hat: ziemlich märchenhaft.
Die beiden Helden werden mit ihnen adäquaten „Schätzen“ belohnt: Der Computer- und Technikfreak Riley Poole bekommt einen knallroten Sportwagen, und Benjamin Franklin Gates die in solchen Filmen nie fehlende blonde Frau, Abigail. Happy Endings für beide.
Und der Schatz? Der kommt tatsächlich ins Museum – aber, und das ist die Pointe –, nicht nur in ein amerikanisches und nicht nur in ein Museum. Er wird – eine universelle demokratische Geste, die mit einer inzwischen bis zur Unkenntlichkeit verblassten Idee amerikanischer Außenpolitik korrespondiert, die Idee der Demokratie weltweit zu verbreiten – auf Museen in aller Welt verteilt. Der geborgene Schatz wird zum Welterbe. Und so endet der Film, wie er begonnen hat: ziemlich märchenhaft.
Credits und Zusatzinfos:
Foto: Jefferson, T. & Second Continental Congress, U. S. C. (1776) Engrossed Declaration of Independence. [Place of Publication Not Identified: Publisher Not Identified, -08-02] [Pdf] Retrieved from the Library of Congress, https://www.loc.gov/item/2021667571/.
Foto: Jefferson, T. & Second Continental Congress, U. S. C. (1776) Engrossed Declaration of Independence. [Place of Publication Not Identified: Publisher Not Identified, -08-02] [Pdf] Retrieved from the Library of Congress, https://www.loc.gov/item/2021667571/.










