Grafik: Martina Schiller und Rainer Stadlbauer / studio-itzo
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Was geht mich meine Welt an?
Workshop mit mobiler Ausstellungsinstallation des Jüdischen Museums Wien
Von: Livia Erdösi, Wien

Ein Workshop kann die gesellschaftlichen Gegebenheiten (leider) nicht verändern: Weder kann er die multiplen Krisen in den Lebensrealitäten von Jugendlichen wettmachen, noch dafür sorgen, dass Jugendliche und ihre Anliegen von gesellschaftlichen und politischen Entscheidungsträger:innen stärker miteinbezogen werden. Was dieser Workshop jedoch versucht, ist, Jugendlichen Mut zu machen, gegen Gefühle von Ohnmacht anzukommen und ihnen Beispiele von Menschen näherzubringen, die sich selbstermächtigt haben und so gesellschaftlich oder politisch, im Kleinen wie im Großen, etwas bewirkt haben. Das Projekt lädt ein, eigene Vorstellungen von gesellschaftlicher Teilhabe und Engagement zu reflektieren, sich auf Anliegen und Erfahrungen anderer Menschen einzulassen und zu erkennen, dass die Verhältnisse, in denen wir leben, erkämpft wurden und veränderbar sind.
 

Vielseitig – Biografien, geometrische Körper und ihre Berührungspunkte

Im ersten Teil des Workshops wird dialogisch mit den Jugendlichen ein gemeinsames Verständnis von sozialem und politischem Engagement und der Bedeutung von Teilhabe erarbeitet, um Einblicke in ihre Interessen und Vorstellungen zu erhalten und das Thema in ihrer Lebensrealität zu verorten. Fragen und Ideen werden auf perforierten Papierbögen, die zu Tetraedern zusammengefaltet werden, gemeinsam festgehalten.
In einem nächsten Schritt beschäftigen sich die Jugendlichen allein oder in Zweiergruppen mit jeweils einer der historischen Biografien. Diese befinden sich auf beidseitig bedruckten Papierbögen. Sie sind ebenfalls perforiert und werden von den Jugendlichen zu Oktaedern zusammengefaltet. Die Beschreibungen der einzelnen Lebensabschnitte befinden sich auf den Außenseiten des Oktaeders, während Bilder sowohl außen als auch im Inneren der Gestaltungselemente ersichtlich sind.
 
Von Schuldirektorin, Philanthrop, Streikanführerin, Verfassungsrichter, Politikerin und Arzt bis hin zu Sozialwissenschaftlerin, Schriftsteller, Krankenschwester und Widerstandskämpferin sind einzelne Biografien von Personen aus unterschiedlichen Wirkungskreisen, Altersgruppen, ideologischen, religiösen und sozioökonomischen Hintergründen, Ländern und Kontinenten wie auch Jahrhunderten vertreten.
Anhand der Beschäftigung mit historischen Persönlichkeiten lernen die Jugendlichen verschiedene Formen gesellschaftlichen Engagements für ein gleichberechtigtes und gutes Leben in Freiheit und Demokratie kennen. Für das Hintergrundwissen zu den verschiedenen (historischen) Kontexten der Biografien wird ein speziell für den Workshop angefertigtes Glossar zur Verfügung gestellt.
 
Erst im anschließenden gemeinsamen Austausch über die Biografien erschließen sich den Teilnehmenden die Überschneidungen und Unterschiede hinsichtlich der gesellschaftlich und politisch engagierten Tätigkeiten und Wirkungskreise der einzelnen Akteur:innen. Diese werden besonders durch die wachsende Ausstellungsinstallation evident: Nacheinander stellen die Teilnehmenden sich gegenseitig die Lebensgeschichten der jeweiligen historischen Persönlichkeiten kurz vor und betonen bestimmte Aspekte, die ihnen besonders bedeutsam erscheinen. Dabei setzen sie die Biografien in Form der Oktaeder auch stets miteinander in Beziehung: Allmählich entscheiden die Jugendlichen, wann und weshalb „ihr“ Oktaeder als nächstes dazu passen würde, und platzieren diesen auf, unter oder neben andere Okta- und Tetraeder, um so kohärente Verbindungen zwischen den Biografien herzustellen. Hierbei gibt es kein Richtig oder Falsch, und die Ausstellungsinstallation kann je nach den Entscheidungen der Teilnehmenden am Ende jedes Workshops etwas anders aussehen, bestimmte Aspekte hervorheben und andere in den Hintergrund rücken.
 
Diese Situiertheit soll im Workshop benannt werden: Teilnehmende können sich ausgehend von den biografischen Beispielen wieder im Hier und Jetzt verorten und sich fragen, inwiefern die Themen sowie ihr ausgeprägteres oder geringeres Interesse an diesen etwas mit ihren eigenen Lebensrealitäten zu tun haben. Wie steht es um die Anliegen der vorgestellten Personen in der Gegenwart? Könnten sie sich vorstellen, sich in ihrem Ort oder in ihrer Stadt selbst lokal zu engagieren? Wenn ja, wofür? Auch diese Überlegungen können auf den Tetraedern, die die Basis der Ausstellungsinstallation bilden, ergänzt werden.
Die Ausstellungsinstallation kann nach dem Workshop bei den Teilnehmenden verbleiben, verändert werden oder auch in einem semiöffentlichen Raum, wie einem Schulkorridor, wiederaufgebaut werden, um auch für Passant:innen Berührungspunkte mit den Inhalten des Projekts herzustellen. Letztlich kann die Ausstellungsinstallation einfach auseinandergenommen und flach verstaut werden.
 

Engagiert – Kontexte, Komplexitäten und andere Perspektiven

In Österreich begegnet der Themenkomplex Judentum vielen nur im Kontext von Schoa, Antisemitismus, Israel oder Religion. Diese Thematiken sollen auch nicht zur Gänze ausgeklammert werden, birgt dies doch die Gefahr, wichtige Aspekte auszulassen, die jüdisches Leben ebenfalls beeinflussen. Mehrere der Biografien in diesem Bildungsprojekt sind von einzelnen der oben genannten Inhalte durchzogen. Und keine der Biografien kommt ohne die Erwähnung von Antisemitismus aus; zieht sich die judenfeindliche Ideologie doch durch Raum und Zeit und hat einschneidende Auswirkungen auf das Leben von Jüdinnen und Juden weltweit.
 
Dennoch ist es zentral, das Leben von Jüdinnen und Juden abseits dieser Zuschreibungen und in anderen Zusammenhängen zu thematisieren. Gerade deshalb versucht dieses Bildungsprojekt, vereinfachende Identitätszuschreibungen und Themensetzungen zu brechen sowie die Heterogenität derer, die als ein homogenes jüdisches Kollektiv imaginiert werden, sichtbar zu machen. Es stellt neue Bezüge im Reden über Jüdinnen und Juden her, indem sie nicht als Jüdinnen und Juden markiert, sondern als gesellschaftliche und politische Akteur:innen mit unterschiedlichsten Hinter- und Beweggründen sowie Anliegen porträtiert werden. Was sie demnach vereint, ist ihr Engagement, das im Mittelpunkt steht. Gleichzeitig wird ihr „Jüdischsein“ nicht unsichtbar gemacht, um einer Dekontextualisierung ihres Denkens und Handelns zu entgegnen.
 
Der Workshop und die Ausstellungsinstallation werfen somit einen Blick auf die Wirkmächtigkeit der einzelnen Personen: Dabei geht es weder um Heroisierungen noch Erfolgsgeschichten, sondern um das Kennenlernen von Menschen, die sich bestimmten Herausforderungen in ihren spezifischen Wirkungsräumen annahmen – gezwungenermaßen oder aus freien Stücken, zur Selbstermächtigung oder aus Solidarität, allein oder mit Verbündeten –, situiert in Raum und Zeit. Ihr Jüdischsein ist selbstverständliches Element ihrer Biografie, ohne das Einzige zu sein, was sie ausmacht. Die internationalen Lebensgeschichten werfen einen Blick über die Wiener und österreichische (jüdische) Geschichte hinaus und laden dazu ein, die eigene Perspektive selbstkritisch zu hinterfragen – sowohl in Bezug darauf, was es bedeutet, sich gesellschaftlich oder politisch zu engagieren, als auch darauf, was es bedeutet, jüdisch zu sein.

Credits und Zusatzinfos: 

Anmerkungen

Das Jugendprojekt Was geht mich meine Welt an? Über Teilhabe und Engagement, damals und heute ist ein neues Bildungsangebot des Jüdischen Museums Wien. Es besteht aus einem Workshop mitsamt einer mobilen Ausstellungsinstallation und kann in Schulen, Jugendzentren, im JMW und – bei gutem Wetter – auch Outdoor durchgeführt werden. Geeignet ist es für Jugendliche ab 15 Jahren und für Gruppen von bis zu 32 Teilnehmer:innen. Benötigt werden ausreichend Sitzmöglichkeiten, Platz für Kleingruppenarbeit, eine flache Ablagefläche für die Papierinstallation sowie Stifte. Der Workshop dauert zwei bis drei Unterrichtseinheiten und wird von zwei Vermittler:innen durchgeführt.

Empfohlene Zitierweise
Livia Erdösi: Was geht mich meine Welt an? Über Teilhabe und Engagement, damals und heute. Workshop mit mobiler Ausstellungsinstallation vom Jüdischen Museum Wien, in: neues museum 25/4, www.doi.org/10.58865/13.14/254/8
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