Foto: Sandra Sam
„Was bleibt?“
Zur Frage des musealen Sammelns und Bewahrens archäologischer Funde
Es sind rechtliche Normen und Bestimmungen, auch in internationalem Zusammenhang, die eine Kette von Entscheidungen hinsichtlich archäologischer Funde auslösen. Diese überlassen dem Bundesdenkmalamt umfassende Befugnisse für die strategische Ausrichtung der archäologischen Denkmalpflege in Österreich, was für die Landesmuseen, wie auch für die Regionalmuseen weitreichende Konsequenzen hat.
Ansatzpunkt der im Jahr 2024 an der Universität Wien vorgelegten Dissertationsschrift war die mit dem beruflichen Aufgabenfeld der Verfasserin verbundene erhöhte Aufmerksamkeit für archäologische Sammlungen in Museen, ihr Umfang bzw. Wachstum und eine zum einen von der archäologischen Denkmalpflege und zum anderen von Museen in den vergangenen Jahren verstärkt geführte Diskussion um Gefahren und Chancen im Umgang mit archäologischem Fundmaterial. [1] Die Zielsetzung war neben theoretischen und strategischen Fragen auch jene nach dem praktischen Handeln zu stellen und seine Wirkung insbesondere auf die niederösterreichische Museumslandschaft zu untersuchen. Dazu konnten Vorgaben der universitären Fachdisziplin Archäologie, der Denkmalpflege, der Museologie und der kulturhistorisch orientierten, sammlungsbezogenen Museums- und Wissenschaftsgeschichte Anwendung finden. Der Titel wurde in Anlehnung an den Philosophen Boris Groys gewählt, dem zu folge es auf die Frage „Was bleibt?“ nur noch eine Antwort gibt: „Es bleibt zuviel. […]“. [2]
Denkmalschutz und archäologische Denkmalpflege
Dem Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch [3] folgend regelt das österreichische Denkmalschutzgesetz [4] den Verbleib archäologischer Funde in der Form, dass eine Hälfte dem Finder, die andere Hälfte dem Grundstückseigentümer gehört und der österreichische Staat keinerlei Anteil für sich beansprucht. Jedoch zeigt das Ergebnis einer Umfrage des Bundesdenkmalamtes im Jahr 2014 [5], dass nur wenig archäologisches Fundmaterial in Privatbesitz übergeht und dass zum einen Museen, zum anderen Grabungsfirmen dies übernehmen, wobei letzteres nur als eine Zwischenlösung angeboten werden kann, bis sich letztendlich wiederum ein Museum für die Übernahme findet.
Gemeinsam legen das Bundesdenkmalamt und die Archäologien als universitäre Fachdisziplinen fest, dass alle archäologischen Funde konserviert und erhalten werden müssen, allerdings fanden sich bis zur Fertigstellung der Dissertationsschrift im Denkmalschutzgesetz keine Bestimmungen über die langfristige Aufbewahrung.
Aufgrund großflächiger Bauvorhaben ist zum einen die Anzahl archäologischer Ausgrabungen gestiegen [6], zum anderen hat sich das Selbstverständnis der Archäologie zugunsten einer Archäologie der Neuzeit und Moderne geöffnet. [7] Dies hat dazu geführt, dass in Österreich Einrichtungen der archäologischen Denkmalpflege und Museen mit großen Fundmengen konfrontiert sind, die sie entweder durch Ausgrabungen selbst hervorbringen oder im Fall von Museen von anderen übernehmen. In Folge ähneln österreichische Museumsdepots vielmehr Archiven oder Magazinen, wie sie in der Bundesrepublik Deutschland [8] und der Schweiz [9] von Einrichtungen der Landesdenkmalpflege oder kantonalen Denkmalpflege betrieben werden. [10] In weiterer Folge bedeutet eine solche Praxis im Umgang mit archäologischen Funden in österreichischen Museen, dass im eigentlichen Sinn nicht gesammelt, sondern archiviert wird und nicht von archäologischen Sammlungen, sondern von Archiven gesprochen werden muss. [11] Die Dissertationsschrift betont diesen Widerspruch zwischen dem Handeln in Museen mit der Übernahme archäologischer Funde aus denkmalpflegerischen Aktivitäten und den vom International Council of Museums (ICOM) formulierten Richtlinien für das museale Sammeln.
Standortbestimmung und Einordnung in den museologischen und denkmalpflegerischen Kontext
In Österreich sind Sammlungen von Museen aufgrund der Trägerschaft zumeist Eigentum der Öffentlichkeit, sie sind auf Dauer angelegt und das österreichische Denkmalschutzgesetz bildet die gesetzliche Grundlage für den Schutz von Sammlungen. [12] Die Konservierungs- und Restaurierungswissenschaften leisten als Fachwissenschaft die theoretische Fundierung des Bewahrungsaspekts im Museum. Im Gegensatz dazu sind für die verbleibenden musealen Kernaufgaben lange keine ebenso klar eingrenzbaren und vergleichbar dynamischen museologischen Forschungsfelder entstanden. Seit dem Jahr 2014 widmet sich das Zentrum für Museale Sammlungswissenschaften der Universität für Weiterbildung Krems den unterschiedlichen Ansätzen des musealen Sammelns.
Das facettenreiche Bild, das die österreichischen Landesmuseen im Umgang mit archäologischen Funden bieten, ergibt sich zunächst aus deren Geschichte, dann aber auch aus deren heutiger Rechtsform. Eine in Verbindung mit dem Museumsbund Österreich durchgeführte Umfrage zum Themenkomplex dieser Dissertationsschrift bringt wichtige interne Sichtweisen, die den Umgang mit archäologischem Fundmaterial im Sammlungszusammenhang der jeweiligen Museen belegt. Neben den theoretischen und juristischen Aspekt tritt der so wichtige praktische Aspekt der Museumsarbeit in den jeweiligen Häusern selbst. Dieser Aspekt vertieft sich – ebenfalls auf Grundlage einer Umfrage – für Museen in Niederösterreich, ohne dass sich das für die Landesmuseen gezeichnete Bild grundsätzlich verändern würde.
Der jetzige Zustand wird von der Verfasserin als strukturelle Schwäche der österreichischen Denkmalpflege charakterisiert, die sich allerdings mit der konzeptionellen und finanziellen Schwäche jener Museen verbindet, die die archäologischen Fundmaterialien dauerhaft zu bewahren haben. Die in dieser Arbeit angestellte Evaluierung und kritische Reflexion machen die Definition eines neuen Modells der Zusammenarbeit von Museen und Einrichtungen der archäologischen Denkmalpflege in Österreich notwendig, welches eine deutliche Abgrenzung zwischen museologischen und denkmalpflegerischen Aufgaben und Zielen zulassen soll.
Credits und Zusatzinfos:
Fußnoten
[1] Vgl. Sandra Sam, „Was bleibt?“ Zur Frage des musealen Sammelns und Bewahrens archäologischer Funde, Unveröffentlichte Dissertation, Wien 2024.
[2] Boris Groys, Logik der Sammlung – am Ende des musealen Zeitalters, München 1997, S. 48–49.
[3] Gesamte Rechtsvorschrift für Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB), www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10001622, [8.10.2024].
[4] Denkmalschutzgesetz (DMSG; Bundesgesetz vom 25. September 1923), www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10009184, [3.8.2022]
[5] Vgl. Martina Hinterwallner, Umfrage zur Aufbewahrung von archäologischem Fundmaterial, in: Bundesdenkmalamt (Hrsg.), Fundberichte aus Österreich, FÖ Band 53, 2014, S. 30.
[6] Vgl. Nikolaus Hofer (Hrsg.), Fachgespräch „Massenfunde – Fundmassen. Strategien und Perspektiven im Umgang mit Massenfundkomplexen“, Fundberichte aus Österreich, Tagungsband 2, Horn 2015.
[7] Vgl. Claudia Theune, Erkenntnisgewinn und Relevanz einer Archäologie des 19. bis 21. Jahrhunderts, in: Frank Siegmund, Werner Schön, Diane Scherzler (Hg.), Archäologische Informationen 43, Bonn 2020, S. 23–34.
[8] Vgl. Jürgen Kunow, Michael M. Rind, Archäologische Denkmalpflege. Theorie – Praxis – Berufsfelder, Tübingen 2022.
[9] Vgl. Robert Fellner, Archäologie in der Schweiz, in: NIKE Nationale Informationsstelle zum Kulturerbe Bulletin 3/2019, Liebefeld 2019, S. 1-2.
[10] Vgl. Regina Smolnik, Abgrenzungsfeld archäologische Landessammlungen, in: Markus Walz (Hg.), Handbuch Museum. Geschichte-Aufgaben-Perspektiven, Stuttgart 2016, S. 169-171.
[11] Vgl. Bernhard Hebert, Archäologen und ihre Depots. Aus dem Vollen schöpfen, in: Stefan Oláh und Martina Griesser-Stermscheg (Hg.), Museumsdepots. Inside the Museum Storage, Wien 2014, S. 58-63.
[12] Vgl. Paul Mahringer, Unterschutzstellungsstrategie, -konzept und -programm, in: Paul Mahringer (Hg.), Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege LXXIV 2020. Heft 3/4, Horn/Wien 2020, S. 9-10.
Empfohlene Zitierweise
Fußnoten
[1] Vgl. Sandra Sam, „Was bleibt?“ Zur Frage des musealen Sammelns und Bewahrens archäologischer Funde, Unveröffentlichte Dissertation, Wien 2024.
[2] Boris Groys, Logik der Sammlung – am Ende des musealen Zeitalters, München 1997, S. 48–49.
[3] Gesamte Rechtsvorschrift für Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB), www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10001622, [8.10.2024].
[4] Denkmalschutzgesetz (DMSG; Bundesgesetz vom 25. September 1923), www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10009184, [3.8.2022]
[5] Vgl. Martina Hinterwallner, Umfrage zur Aufbewahrung von archäologischem Fundmaterial, in: Bundesdenkmalamt (Hrsg.), Fundberichte aus Österreich, FÖ Band 53, 2014, S. 30.
[6] Vgl. Nikolaus Hofer (Hrsg.), Fachgespräch „Massenfunde – Fundmassen. Strategien und Perspektiven im Umgang mit Massenfundkomplexen“, Fundberichte aus Österreich, Tagungsband 2, Horn 2015.
[7] Vgl. Claudia Theune, Erkenntnisgewinn und Relevanz einer Archäologie des 19. bis 21. Jahrhunderts, in: Frank Siegmund, Werner Schön, Diane Scherzler (Hg.), Archäologische Informationen 43, Bonn 2020, S. 23–34.
[8] Vgl. Jürgen Kunow, Michael M. Rind, Archäologische Denkmalpflege. Theorie – Praxis – Berufsfelder, Tübingen 2022.
[9] Vgl. Robert Fellner, Archäologie in der Schweiz, in: NIKE Nationale Informationsstelle zum Kulturerbe Bulletin 3/2019, Liebefeld 2019, S. 1-2.
[10] Vgl. Regina Smolnik, Abgrenzungsfeld archäologische Landessammlungen, in: Markus Walz (Hg.), Handbuch Museum. Geschichte-Aufgaben-Perspektiven, Stuttgart 2016, S. 169-171.
[11] Vgl. Bernhard Hebert, Archäologen und ihre Depots. Aus dem Vollen schöpfen, in: Stefan Oláh und Martina Griesser-Stermscheg (Hg.), Museumsdepots. Inside the Museum Storage, Wien 2014, S. 58-63.
[12] Vgl. Paul Mahringer, Unterschutzstellungsstrategie, -konzept und -programm, in: Paul Mahringer (Hg.), Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege LXXIV 2020. Heft 3/4, Horn/Wien 2020, S. 9-10.
Empfohlene Zitierweise
Sandra Sam: „Was bleibt?“ Zur Frage des musealen Sammelns und Bewahrens archäologischer Funde, in: neues museum 25/1-2, www.doi.org/10.58865/13.14/2512/8.