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Was bedeutet es, als Museum demokratisch zu sein?
Anmerkungen zum Museum als Hoffnungsraum

Museen stärken Demokratie – unter diesem Motto stand die Jahrestagung 2025 des Deutschen Museumsbundes. Auch die Tagung der Volontär:innen an den Museen im Nachbarland widmete sich dem Möglichkeitsfeld von „Museum und Demokratie“. Parallel dazu wählte die Vereinigung Österreichischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare – manche der Bibliotheken betreiben ja auch Museen – als Jahresthema für ihren Bibliothekskongress Bibliotheken: demokratisch – divers – nachhaltig, womit drei Themenfelder offensichtlich mit Handlungsbedarf geortet wurden. Diese drei Beispiele zeigen eine gesellschaftliche Entwicklung auf: Angesichts einer komplexen geopolitischen Situation – mit Kriegen in Europa und im Nahen Osten, der neuen Rolle Chinas, zahlreichen bewaffneten Konflikten in Afrika, der Instabilität der Amerikas und dem Erstarken autokratischer Tendenzen in jungen Demokratien Europas – fragen sich Fachleute aus Museen und Bibliotheken zunehmend nach ihrer gesellschaftlichen Verantwortung für eine demokratische Zukunft. Das starke Abschneiden von rechtspopulistischen Parteien wie der AfD in Deutschland und der FPÖ in Österreich verstärkt diese Frage für wissensspeichernde und -vermittelnde Einrichtungen zusätzlich.
 
Noch vor wenigen Jahrzehnten mussten Museen in beiden Ländern darum kämpfen, überhaupt als gesellschaftlich relevant anerkannt zu werden. Heute ist die Erkenntnis, dass Museen, Bibliotheken und Archive politische Orte sind – weil sie entscheiden, welche und wessen Geschichte bewahrt und erzählt wird – auch bei den politischen Entscheidungsträger:innen angekommen. Selbst Donald Trump und seine Mitstreiter:innen haben mittlerweile erkannt, dass Gedächtnisspeicher wie Museen, Bibliotheken und Archive entscheidend mitbestimmen, wie analoges und digitales Wissen gespeichert und zugänglich gemacht wird und in demokratischen Gesellschaften der Öffentlichkeit zur Verfügung steht – wenngleich dies nicht immer den Interessen der Machthabenden entspricht.
 

Demokratie als Gründungskontext

Als ich im Februar 2017 zur Gründungsdirektorin des Hauses der Geschichte Österreich im Verband der Österreichischen Nationalbibliothek ernannt wurde, stellte sich mir unmittelbar die Frage: Welche Aspekte demokratischer Natur sind bei der Gründung zu berücksichtigen? Wie kann sich das neue Museum von jenen musealen Einrichtungen unterscheiden, die aus dem Repräsentationsbegehren eines monarchischen Herrscherhauses, dem städtischen Bürgertum des 19. Jahrhunderts oder der Nostalgie für die vorindustrielle Welt hervorgegangen sind?
 
Spannend ist, dass das Hundertjahrjubiläum der Ausrufung der demokratischen Republik – also ein zentraler Meilenstein der Demokratiegeschichte – Motor und Anlass für die Gründung des Hauses der Geschichte Österreich war, das im November 2018 eröffnete.
 
Schnell war klar, dass der Gründungskontext die erste Ebene im Spannungsfeld „Demokratie und Museum“ bildet. Denn anders als bei anderen, älteren musealen Einrichtungen basiert das Haus der Geschichte Österreich auf klaren demokratischen Rechtsakten, die die Grundlage für die Museumsarbeit festlegten: Im April 2016 wurde das Bundesmuseengesetz novelliert, womit die Aufgaben der Österreichischen Nationalbibliothek um die Agenden des Hauses der Geschichte Österreich erweitert und anschließend in der im August 2017 erlassenen Bibliotheks- und Museumsordnung konkretisiert wurden.
 
Völlig neu und für die österreichische Museumslandschaft beispiellos war die gesetzliche Einrichtung zweier Gremien für das Haus der Geschichte Österreich: eines sechsköpfigen, politisch besetzten wissenschaftlichen Beirats sowie eines Publikumsforums, das aus 34 Institutionen und Vereinen besteht. Beide haben im Wesentlichen eine beratende Funktion für die Direktion und tragen dazu bei, den gesetzlichen Auftrag, ein „Diskussionsforum“ zu sein, aktiv zu leben.
 
Doch was bedeutet es darüber hinaus für die konkrete Praxis der Museumsarbeit? Das fragte ich mich auch vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit vielfältigen Institutionsgeschichten: Museen können nur im Rahmen des demokratischen Rechtsstaates ein Ort des freien Meinungsaustauschs im Sinne eines „Diskussionsforums“ sein, denn nur in einer Demokratie ist das Recht auf freie Meinungsäußerung lebbar. Zahlreiche historische Einzelstudien zeigen, wie Museen in anderen politischen Systemen – etwa in autoritären Systemen, im Nationalsozialismus – oftmals zu Vollzugsanstalten von menschenverachtenden und rassistischen Ideologien, zu Werkzeugen diktatorischer Propaganda degradiert wurden oder aber überwiegend gesellschaftliche Eliten repräsentierten.
 

Neue Öffentlichkeit(en)

Die zweite Handlungsebene, ein Museum in demokratischen Kontexten zu denken, war die Vorstellung von den Öffentlichkeiten, für die das künftige Haus der Geschichte Österreich wirken sollte. Statt – wie in der Museumsdiktion zumeist üblich – von „Zielgruppen“ zu sprechen, die durch die Aktivitäten des Museums belehrt werden sollten, wollte ich die Besucher:innen als „Anspruchsgruppen“ verstehen, denen das Museum verpflichtet ist. Schließlich finanzieren alle Personen, die in Österreich Steuern zahlen, diese neue Einrichtung des Bundes mit.
 
Diese Haltung sollte die Position des künftigen Museums in der Gesellschaft als Sparringpartnerin für gemeinsames Geschichteschreiben für die Zukunft definieren: Es ist zu einer Grundhaltung des Hauses geworden, Transparenz des Wissens und der Argumente anzustreben – mit dem Ziel, die individuelle historische Urteilskraft jedes und jeder Einzelnen zu stärken.
 

Sammlung, Ausstellung und Sprache

Die dritte Handlungsebene betraf die Sammlung und die Ausstellungen des Hauses der Geschichte Österreich. Sie sollten zum Ausdruck bringen, was mit der Ausrufung der Republik Deutschösterreich 1918 und der Einführung des allgemeinen, gleichen, freien und geheimen Wahlrechts für beide Geschlechter zumindest an den Wahlurnen gelten sollte: Jede Stimme – und somit jede Person – zählt.
 
Das Haus der Geschichte Österreich, das hundert Jahre später eröffnete, will diese Gleichwertigkeit auch auf der Ebene der ausgestellten Objekte und der verwendeten Sprache(n) zum Ausdruck bringen. Subversive Positionen sollten jene der gesellschaftlichen Eliten ergänzen. Denn viele gesellschaftliche Gruppen – zum Beispiel Frauen oder verschiedene gesellschaftliche Minderheiten – mussten sich auch in demokratischen Gesellschaften erst erkämpfen, durch Artefakte und in den begleitenden Texten in den Museen repräsentiert zu werden.
 
Neben dieser kuratorischen Haltung schlägt das Museum auf der Ereignisebene einen Bogen von der Ersten Republik bis in die Gegenwart, wobei auch die Dollfuß-Schuschnigg-Diktatur und der Nationalsozialismus zentral thematisiert werden. Damit wurde das Museum auch zu einem Raum der Utopie: Wer sich mit den grundlegenden Unterschieden individueller Freiheiten des Lebens in Diktaturen und Demokratien auseinandersetzt, auf Basis der Vergangenheit und mit Einbeziehen der drängenden Fragen der Gegenwart, erkennt – so die Hoffnung – die Herausforderungen, aber vor allem auch die Chancen und die Freiheiten, die liberale Demokratien eröffnen.
 

Demokratische Verantwortung

Demokratie, so zeigen die deutsch-österreichische Geschichte und Gegenwart, ist keine Selbstverständlichkeit – denn sie kann abgewählt werden. Gerade deshalb sind Umsicht und Bedachtsamkeit heute wichtiger denn je.
 
Parallel zum diesjährigen Jahresschwerpunkt hat der Deutsche Museumsbund eine Handreichung veröffentlicht: „Museen im politischen Raum: Spielräume kennen, Haltung zeigen“. Das unterstreicht, wie sehr Museen gefordert sind, ihre Rolle als demokratische Akteure zu reflektieren und bewusst wahrzunehmen.

Credits und Zusatzinfos: 
Vermittlung im Haus der Geschichte Österreich: Museen entfalten ihre Rolle als offene Diskussionsforen
Foto: Lorenz Paulus (1, 3), Klaus Pichler (2)

Empfohlene Zitierweise
Monika Sommer: Was bedeutet es, als Museum demokratisch zu sein? Anmerkungen zum Museum als Hoffnungsraum, in: neues museum 25/4, www.doi.org/10.58865/13.14/254/1
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