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Von der kaiserlichen Ruhmeshalle zu einem Forum demokratischer Diskussion

In Zeiten zunehmender geopolitischer Unsicherheit und verstärkter gesellschaftlicher Polarisierung sind Institutionen wie Museen, die sich als Foren offener und sachlicher Diskussion verstehen, wichtiger denn je. Demokratie braucht engagierte, kritisch denkende Bürger:innen, die den Staat gemeinsam mit der Politik im positiven Sinn und auf Basis der Menschenrechte tragen und stetig weiterentwickeln. Museen sind – ähnlich wie Universitäten – Bildungseinrichtungen, die auf freiwilliger Basis besucht werden. Sie fördern Teilhabe und Partizipation, bereichern die Besucher:innen ein Leben lang mit Wissen und tragen so zur Weiterentwicklung der vielfältigen kulturellen Landschaft bei. Die innovative Kraft von Museen steht im Dienst der Gesellschaft; sie zählen zu den Trägern der Demokratie. Die Museumslandschaft ist vielfältig und heterogen und muss entsprechend differenziert betrachtet werden. Das Heeresgeschichtliche Museum Wien ist in einer besonderen Position als nachgeordnete Dienststelle des Bundesministeriums für Landesverteidigung und versteht sich auch als Vertreter der „geistigen Landesverteidigung“ – das heißt konkret: der Stärkung des rechtsstaatlichen Denkens und Handelns der Bevölkerung.
 
Das Bedürfnis, das „Volk“ zu bilden, war zentral für die Schaffung musealer Institutionen. Wenngleich die Sammlungsgeschichte der altehrwürdigen Museen Wiens bis in die Frühe Neuzeit zurückreicht, wurden sie zu musealen Institutionen im engeren Sinn erst im 19. Jahrhundert – auf ausdrücklichen kaiserlichen Wunsch. Die kaiserlichen Sammlungen, die auch zuvor schon in größerem oder kleinerem Umfang öffentlich zugänglich waren, wandelten sich vom Speicher dynastischen Ruhmes, der die Wissenschaften bereits seit dem 16. Jahrhundert befruchtet hatte, zu Institutionen, die systematisch Wissen schufen und dieses gezielt breiteren Bevölkerungsschichten zugänglich machten. Die Sammlungen dienten damals weniger der Stärkung eines Staates, dessen demokratisches Regelwerk auf den Menschenrechten fußte, sondern vielmehr der Mehrung der imperialen Glorie eines im Kern autokratischen Herrschaftssystems. Aufklärerischen Bildungsideen folgend, wurde Kaiser Franz Joseph I., in dessen Lebenszeit die Gründungen der Museumseinrichtungen fielen, zum „ersten Lehrer“ des Reiches stilisiert.
 
Die imperial gesteuerte Kulturpropaganda, die sich grob unter dem Motto „Einheit in der Vielfalt“ zusammenfassen lässt, war außerordentlich erfolgreich und machte Wien zu einem der blühendsten Innovationszentren der damaligen Zeit. Den in diesem Zusammenhang geschaffenen Museen wurden spezifische Rollen zugewiesen. Das k.k. Österreichische Museum für Kunst und Industrie (heute MAK – Museum für angewandte Kunst, gegründet 1863) etwa war nicht nur ausschlaggebend für die Etablierung des Faches Kunstgeschichte an der Universität Wien, sondern auch zuständig für die paternalistisch gesteuerte Geschmacksbildung der kaiserlichen Untertanen, insbesondere der Frauen. Damit folgte es englischen Vorbildern.
 
Die hohe Bedeutung, die dem heutigen Heeresgeschichtlichen Museum zugesprochen wurde, zeigt sich unter anderem am Baujahr seines prunkvollen Gebäudes (1856) – immerhin 35 Jahre vor jenem des heutigen Kunsthistorischen Museums – und an seiner Eröffnung als k.k. Hofwaffenmuseum (1869). Es war der erste der großen Museumsbauten Wiens; Architekt war kein Geringerer als Theophil Hansen. Als Ruhmes- und Gedenkstätte der kaiserlichen Armeen präsentierte es vor allem Waffen und Trophäen des kaiserlichen Zeughauses und stand ideell in der Nachfolge der Heldenrüstkammer (Armamentarium Heroicum, 1601) Erzherzog Ferdinands von Tirol auf Schloss Ambras bei Innsbruck. Es war integraler Bestandteil der Habsburgischen Erinnerungskultur – mit zeitgenössischem „Touch“, indem es in seinem Programm auch die Niederschlagung der Revolution von 1848 zelebrierte. Weiters sollte es die Ehre, den Geist und die Erfolge der kaiserlichen Streitkräfte hervorheben, welche die Einheit der Länder der Doppelmonarchie repräsentierten.
 
Wie geht man nun heute mit einer Gründungsgeschichte um, die eine neoabsolutistische Regierungsform, eine Dynastie und ein Kaiserreich feiert – im zeitgenössischen demokratischen Kontext eines europäischen Kleinstaates? Wie verbinden sich Vergangenheit und Zukunft im aktuellen demokratischen Diskurs?
 
Von Museen wird heute viel erwartet; sie stehen im öffentlichen Vertrauen weit über Politik und Presse. Damit tragen sie eine hohe Verantwortung – nicht nur gegenüber den Besucher:innen, sondern der Bevölkerung insgesamt. Sie sind greifbares Archiv des menschlichen Denkens, Schaffens und Handelns, Erinnerungs- und Bildungsort zugleich sowie Räume, in denen die Zukunft mitgedacht und diskutiert wird: In ihnen und durch sie inspiriert die Vergangenheit unsere Zukunft. Als solche gehören Museen zu den wichtigen Stützen einer modernen Demokratie. Sie sind in der Lage, mit ihren historischen Sammlungen auf aktuelle Themen einzugehen und damit neue Perspektiven zu eröffnen. Ebenso befinden sie sich in der machtvollen Position, nicht nur neueste wissenschaftliche Erkenntnisse zu generieren – wie etwa Universitäten –, sondern diese auch direkt an ein breites Publikum zu vermitteln. Damit ist verantwortungsvoll umzugehen. Museen können provozieren und beschwichtigen, beeindrucken und zum Nachdenken anregen. Sie eröffnen neue Perspektiven und diskutieren überkommene Denkmuster – sei es in Ausstellungen, Publikationen oder Veranstaltungen. Museen sind öffentliche Plattformen des sachlichen demokratischen Diskurses.
 
Museen bereichern ihre Besucher:innen lebenslang mit Wissen. Innerhalb einer Lebensspanne verändert und erweitert sich der Wissensstand: Was man als Kind in der Schule gelernt hat, entspricht oft nicht mehr dem aktuellen Stand der Forschung. Für die heute junge Generation stehen andere Herausforderungen im Vordergrund als noch vor 30 Jahren; nicht nur Wissen, auch Perspektiven entwickeln sich. Museen sind dank ihrer Definition (ICOM) und Geschichte in der Lage, gesellschaftlichen Wandel zu reflektieren und abzubilden. Am Beispiel des breit gefassten Begriffs Vielfalt/Diversität ist dies gut ablesbar.
 
In der Gründungsgeschichte des Heeresgeschichtlichen Museums finden sich Ideen, die – unter demokratischen Gesichtspunkten betrachtet – heute wieder hohe Relevanz besitzen und die aktuelle Museumsarbeit inspirieren. Das Museum diente ursprünglich der Verbreitung der Glorie des k.k. Vielvölkerstaates; es wandte sich somit an eine sehr diverse Bevölkerung. Die Doppelmonarchie definierte sich nicht durch Einheit von Herkunft und Sprache, sondern durch „Einheit in der Vielfalt“, mit einem Kaiser an der Spitze, der sich „an seine Völker“ wandte. Um dieser Heterogenität im damaligen Kontext gerecht zu werden, platzierte man etwa ganz selbstverständlich Feldherrenskulpturen unterschiedlicher Herkunftsländer der Monarchie nebeneinander in der Eingangshalle.
 
Europa ist nach den katastrophalen Kriegen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die mit weitreichenden ethnischen Säuberungen einhergingen, politisch immer enger zusammengerückt. Seit den 1960er-Jahren forcierte man die inner- und außereuropäische Wirtschaftsmigration und nahm aufgrund der geopolitischen Lage in den 2000ern wieder vermehrt Kriegsflüchtlinge auf. Nicht zuletzt als Folge dieser Entwicklungen ist der heute demokratische, auf Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit basierende Umgang mit ethnischer, religiöser und sprachlicher Vielfalt/Diversität wieder ein zentrales Thema. Zusätzlich öffnete sich der gesellschaftliche Diskurs infolge der sexuellen Revolution(en) seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, zuletzt in Fragen zum Verhältnis von biologischem zu sozialem Geschlecht (Sex und Gender).
 
Seit der Gründung des Museums hat sich der Vielfaltsbegriff stark gewandelt und erweitert. Während Diversität heute wie damals – nicht zuletzt durch die offizielle Person des Kaisers – von großen Teilen der Bevölkerung sehr positiv aufgefasst wurde und wird, gab und gibt es auch Kritik und Ressentiments gegenüber gewissen Aspekten der Vielfalt. Indem Museen diesen komplexen Themenbereich aus der Geschichte und den Sammlungen heraus behandeln und diskutieren, nehmen sie eine wichtige Rolle als gesellschaftliche Brückenbauer ein. Das gilt in besonderem Maß auch für das Heeresgeschichtliche Museum, das gefordert ist, sich mit seinem von Vorstellungen der Vergangenheit geprägten architektonischen und sammlungstechnischen Erbe konstruktiv und zugleich kritisch auseinanderzusetzen – um überkommene Stereotype, die mit bestimmten Objekten oder Displays verknüpft sein können, vor dem Hintergrund gewandelter Wertbegriffe zu reflektieren und neu zu interpretieren.
 
Die Sichtbarmachung der Vielfalt des Reiches und ihre Ausrichtung auf ein multiethnisches Publikum war eine zentrale Aufgabe der kaiserlichen Museumsgründungen des 19. Jahrhunderts, zu denen das Heeresgeschichtliche Museum zählt. Auf das heutige demokratische Verständnis übertragen heißt das vereinfacht: Man spricht vielfältige Themen und Themen der Vielfalt an und berücksichtigt ein in Einstellung und Herkunft heterogenes Publikum. Mehr noch: Man baut durch eine relevante, spannende und ansprechende Themenwahl Brücken zwischen den Gesellschaftsgruppen, baut durch sachlichen Dialog Vorurteile in alle Richtungen ab, bringt Menschen dazu, auf Augenhöhe miteinander zu diskutieren und sich dadurch besser zu verstehen. Insofern etabliert sich die altehrwürdige Institution als ein Scharnier zwischen Vergangenheit und Zukunft – und als ein wichtiger Kitt der Zivilgesellschaft.

Credits und Zusatzinfos: 

Fotos: HBF/Daniel Trippolt
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