„Vielleicht braucht es noch mehr Formate des Zuhörens.“
Ein Gespräch zum Thema Demokratie in historischen Museen
Von:
Bettina Habsburg-Lothringen (Leiterin, Museum für Geschichte, Graz ), Christian Rapp (Leiter, Haus der Geschichte Niederösterreich, St. Pölten ), Monika Sommer (Direktorin, Haus der Geschichte, Wien), Graz, St. Pölten, Wien
In den letzten zehn Jahren sind einige ausdrücklich der politischen Geschichte gewidmete Museen bzw. „Häuser“ entstanden. Auch Landes- und Stadtmuseen befassen sich verstärkt mit zeithistorischen und politischen Themen. Nach jahrzehntelangen Debatten um wissenschaftlich fundierte Institutionen zur kritischen Geschichtserinnerung sind diese „neuen“ Häuser mittlerweile selbstverständlicher Bestandteil der österreichischen Museumslandschaft geworden. Wie setzt man sich dort mit dem Themenkomplex Demokratie auseinander? Bettina Habsburg-Lothringen, Christian Rapp und Monika Sommer im Gespräch mit Sabine Fauland.
Sabine Fauland: Warum boomt das Thema „Museum und Demokratie“ gerade so?
Bettina Habsburg-Lothringen: Das hängt vermutlich damit zusammen, dass „Demokratien“ gerade international mächtig unter Druck geraten und man möglicherweise nach Institutionen sucht, die man mit demokratischen Werten in Verbindung bringt.
Sabine Fauland: Warum gerade Museen?
Christian Rapp: Ich vermute, weil sich Museen in den letzten Jahrzehnten als Orte offener Aushandlungsprozesse etabliert haben. Das war ja nicht immer so. Die Kulturvermittlung hat einen großen Anteil an dieser Entwicklung, ebenso die verstärkte Praxis der Partizipation in Museen. Dem Publikum ist deutlich geworden, dass die Auseinandersetzung mit Objekten in einem Museum heute eine andere ist als noch vor wenigen Jahrzehnten, als Ehrfurcht und Demut die Haltung im Museum bestimmten.
Sabine Fauland: Gibt es eine Zuständigkeit der Institution Museum und speziell historischer Museen im Bereich der Demokratieerziehung?
Bettina Habsburg-Lothringen: Grundsätzlich sehe ich eine Zuständigkeit der Institution, ja. Zu den gesellschaftlichen Funktionen des Museums gehörte es immer schon, zur Orientierung und Meinungsbildung beizutragen, Menschen dabei zu unterstützen, sich in einem vielgestaltigen gesellschaftlichen und politischen Kontext zu verorten. Was historisch immer schon Thema war, findet sich im Begriff des „Museums als Ort kritischer Öffentlichkeit“ wieder, in dem wir mit unseren Angeboten aktuelle, gesellschaftlich relevante Fragestellungen aufgreifen. Wichtig dabei: Gerade weil es im Feld der Demokratievermittlung professionelle Akteur:innen gibt, braucht es im Museum ein Nachdenken darüber, was uns unterscheidet, und einen Bezug zu dem, was uns ausmacht: Sammlungen, Ausstellungen.
Monika Sommer: Das stimmt natürlich. Ich sehe allerdings die Verantwortung, Demokratiebewusstsein zu stärken, nicht allein bei den historischen Museen. Viele Museumstypen haben in den letzten Jahrzehnten daran gearbeitet, ihre gesellschaftliche Relevanz für die Gegenwart zu reklamieren, und leisten wichtige Beiträge für ein gemeinsames Aushandeln von Fragen, die uns als Gesellschaft bewegen. Es ist doch spannend zu sehen, wie das Thema Demokratie in Stadt-, Freilicht-, Heimat- und auch Kunstmuseen behandelt wird.
Christian Rapp: Ich denke, Museen für Geschichte sind vor allem Orte kritischer Erinnerung. Kritisch heißt dabei nicht automatisch negative Erinnerung. Auch die Erfolge einer – demokratischen – Gesellschaft darf man präsentieren. Aber ein wesentlicher Auftrag unserer Häuser besteht doch darin, darauf hinzuweisen, wie leicht man in der Vergangenheit bereit war, den Pfad der Demokratie zu verlassen. Auch die Verführungskraft von Diktaturen zu dekonstruieren, betrachten wir als einen Auftrag.
Sabine Fauland: Ein wenig anders gefragt: Sind Museen für Geschichte in Sachen Demokratie kompetent?
Bettina Habsburg-Lothringen: Das ist sicher in jedem Team anders, aber ich sehe da durchaus eine Herausforderung. Ich denke, dass es sowohl auf der kuratorischen als auch auf der Vermittlungsseite Sinn macht, sich mit den besonderen Bedingungen des Themas vertraut zu machen und sich fortzubilden. Wenn ich z. B. in einem historischen Museum mit Jugendlichen über mittelalterliche oder neuzeitliche Themen arbeite, ist das etwas anderes, als wenn ich über rechte Narrative im Netz spreche. Es zahlt sich aus, hier auf das Erfahrungswissen anderer aufzubauen, mit Kolleg:innen z. B. aus Gedenkstätten ins Gespräch zu kommen, Vorträge zu besuchen und Einrichtungen kennenzulernen.
Monika Sommer: Wenn man zum Beispiel auf die Wahlergebnisse in Österreich und Deutschland schaut, wo rechtspopulistische Parteien vor allem bei den Jungen großen Zulauf finden, sollte man meinen, die historisch-politische Bildung hat zu wenig gegriffen. Historische Museen können aber sehr gut verdeutlichen, wie fragil Demokratie sein kann und welche großen individuellen Einschränkungen Menschen in Diktaturen erfahren. Ich denke, es ist entscheidend, dass wir die Museumsbesucher:innen nicht einfach nur belehren wollen, sondern uns aufrichtig für ihre Perspektiven interessieren. Vielleicht braucht es noch mehr Formate des Zuhörens.
Sabine Fauland: Was bedeutet Demokratie für die internen Arbeitspraktiken?
Monika Sommer: Im Museum selbst demokratisch zu agieren bedeutet für mich vor allem, transparent und nachvollziehbar zu handeln. Wir vereinbaren oft auch gemeinsam, wie Entscheidungen fallen.
Christian Rapp: Nicht alle inhaltlichen Entscheidungen erfolgen „demokratisch“ in einem Museum. Aber der Anspruch besteht, in Ausstellungsprojekten ein Maximum an Beteiligung zu erzielen und etwa unterrepräsentierte gesellschaftliche Gruppen besonders zu berücksichtigen. Das hat Konsequenzen für die internen Ressourcen.
Sabine Fauland: Welche konkreten aktuellen Projekte zum Thema Demokratie können Sie uns nennen?
Bettina Habsburg-Lothringen: Wir bieten im Museum für Geschichte derzeit zwei zwei- bis dreistündige Workshops im Zusammenhang mit unserer Ausstellung Warum? Der Nationalsozialismus in der Steiermark an. Beide richten sich an Schüler:innen im Klassenverband ab 13 Jahren, an Lehrlinge, Angehörige bestimmter Berufsgruppen, die mit jungen Menschen arbeiten, sowie an Auszubildende in den Bereichen Exekutive, Justiz und Landesverteidigung.
Im ersten Workshop geht es um die Frage, was autoritäre von demokratischen Staaten unterscheidet. Mit aktuellen Bezügen zeigen wir, wie gewählte Staatsoberhäupter bzw. deren Parteien die Demokratie zum Zwecke des Machterhalts aushöhlen, schrittweise ihre politische Macht zentralisieren, die Medien kontrollieren, die Justiz beeinflussen und die Rechte von Minderheiten einschränken.
Im zweiten Workshop geht es um die Präsenz rechtsextremer Codes und Rituale sowie die Anziehungskraft nationalsozialistischer und rechtsextremer Narrative heute. Wir möchten die Jugendlichen zum einen für die strafrechtlichen Konsequenzen einer unbedachten oder leichtfertigen Verwendung und Weitergabe sensibilisieren, zum anderen sie dabei unterstützen, solchen Narrativen argumentativ zu begegnen, wenn sie im eigenen Umfeld von Freunden und Bekannten auftreten.
Christian Rapp: In vielen unserer Ausstellungs- und Vermittlungsprojekte geht es um Aspekte der Demokratie. In manchen freilich ist sie ein Hauptthema. Unsere kommende Sonderausstellung wird Republik in Flammen heißen. Es geht um die politische Radikalisierung in den 1920er-Jahren und die Ereignisse rund um den Justizpalastbrand von 1927. Diese sind deshalb so brisant, weil sie nicht in die Wirtschaftskrise, sondern mitten in eine Hochkonjunktur fallen. Das Argument, dass vor allem die große Arbeitslosigkeit für eine Abkehr vom demokratischen Pfad verantwortlich sei, fällt hier weg. Es geht vielmehr um die Frage, warum man bereit war, politische Konflikte mit Waffengewalt zu lösen und Menschenleben in Kauf zu nehmen.
Monika Sommer: Wir bieten Unterschiedliches zum Thema an: Manchmal steckt das Wort Demokratie im Titel, manchmal bestimmt es den Inhalt. Von zu Hause aus oder im Museum zu hören gibt es den Audio-Themenweg Demokratie als Prozess: Politik und Gerechtigkeit; für Gruppen ist der Workshop zusammen leben. Demokratie und Geschichten ab 6 Jahren buchbar; Ich bin dabei! Demokratie in Bewegung wendet sich an junge Leute ab 10 Jahren. Doch auch bei Workshopthemen wie Wer ist so frei? Grund- und Menschenrechte geht es letztlich um jene Staatsform, die dem Individuum größtmögliche Freiheit einräumt. Aktuell kann man in der Ausstellung Es funkt! Österreich zwischen Propaganda und Protest erfahren, wie das Medium Radio in Diktaturen und in der Demokratie wirksam werden kann und wie sehr Demokratie auch freie Medien braucht.
Credits und Zusatzinfos:
Fotos
(1) Blick in die Ausstellung Ausstellungsansicht Warum? Der Nationalsozialismus in der Steiermark, Museum für Geschichte, Universalmuseum Joanneum, Graz, Foto: Universalmuseum Joanneum/J.J. Kucek
(2) Das Forum Demokratie in der Dauerausstellung des Haus der Geschichte Niederösterreich, St. Pölten, Foto: Klaus Pichler
(3) Vermittlung im Haus der Geschichte Österreich: Museen entfalten ihre Rolle als offene Diskussionsforen, Foto: Lorenz Paulus
Fotos
(1) Blick in die Ausstellung Ausstellungsansicht Warum? Der Nationalsozialismus in der Steiermark, Museum für Geschichte, Universalmuseum Joanneum, Graz, Foto: Universalmuseum Joanneum/J.J. Kucek
(2) Das Forum Demokratie in der Dauerausstellung des Haus der Geschichte Niederösterreich, St. Pölten, Foto: Klaus Pichler
(3) Vermittlung im Haus der Geschichte Österreich: Museen entfalten ihre Rolle als offene Diskussionsforen, Foto: Lorenz Paulus










