Ausstellungsvitrine in „ALLtägliches Leben“ ... – Foto: TMW
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This is (not) Rocket Science!
Partizipation und Mitsprache von Jugendlichen im Technischen Museum Wien: die MISSION CONTROL
Von: Doris Erhard, Wien

Seit Frühsommer 2023 kommen sie regelmäßig in ihrer Freizeit ins Technische Museum Wien – die jugendlichen Teilnehmer:innen der Mission Control. Alle drei Wochen treffen sie sich hier untereinander und mit dem Projektteam des Museums. Sie haben Ausstellungsbereiche kennengelernt und sich Wissen über Raumfahrttechnologien und Space Sciences angeeignet. Sie haben Zugang zum Bürotrakt des Museums und entscheiden über ihr eigenes Budget, das sie für die Arbeit mit Professionist:innen, Exkursionen oder Verpflegung verwenden. Die Gruppe konnte die Ankunft und Schenkung zweier Raketen des TU-Wien Space Teams beobachten und bei der Gestaltung der Ausstellungsvitrine dieser Objekte mitsprechen. Ihre Vorschläge fanden Gehör und wurden zum guten Teil umgesetzt. Die Mission Control hat Werte definiert, die ihr in der Zusammenarbeit wichtig sind: Kreativität, Erfolg, Wissen und Teamwork. Wie bei jeder „richtigen“ Weltraummission haben die Jugendlichen ihren eigenen Patch gestaltet, im ko-kreativen Prozess mit einem jungen Grafikkünstler.

Wie kam es, dass diese zehn jungen Menschen sich autonom, selbstsicher und selbstverständlich im Museum bewegen? Dass sie plötzlich vor der Bürotür stehen und nach einem Raum fragen, den sie für Kreativarbeiten nützen können? Dass sie eine Exkursion zu einem Space-Start-up machen wollen? Dass sie Ausstellungsbereiche danach bewerten, ob sie interessant sind oder eher „mau“ (im Klartext also langweilig)?

Vorgespräche

Die Mission Control ist Teil und Kern der Sparkling-Science-Forschungspartnerschaft „This is (not) Rocket Science!“, die noch bis Ende September 2025 am Technischen Museum Wien aktiv ist. Der Ansatz der Einreichung war, dass mit „radikal partizipativen Methoden … [dem] Museum die Öffnung der wissenschaftlichen Deutungshoheit von innen heraus abverlangt wird. Das Museum verändert sich […] dadurch, dass die Citizen Scientists Impulse setzen und […] [der] Deutungshoheit zwischen ‚Kurator:in‘ und ‚Besucher:in‘ entgegenwirken.“ Die Challenge der konkreten Arbeitspraxis ist: Das Vorhaben, „radikal partizipativ“ zu arbeiten, um Deutungshoheit an die Jugendlichen zu übergeben, ist in eingeübten Strukturen eines hierarchisch organisierten Museums verortet, das Deutungshoheit in fixen Zuständigkeiten definiert. Der Wunsch nach einem Jugendbeirat gründet auf dem Anliegen der Vermittlungsabteilung, Fokusgruppen stärker zu involvieren, deren Lebenswelten und Anliegen, Bedürfnisse und Nutzungsverhalten besser kennenzulernen und mit den Zielen und Möglichkeiten des Museums abzugleichen. Egal, ob es sich um Genderthemen handelt, die Arbeit mit Menschen mit Demenzerkrankungen oder den Austausch mit Kindern und Jugendlichen [1]: Die Idee ist, mit Fokusgruppen zu arbeiten, die wiederkehrend am Museum teilnehmen, sich aktiv einbringen und rückmelden, was gut für sie ist und was nicht; die sich nicht als „Besucher:innen“ definieren, sondern als „Nutzer:innen“[2] und sich aktiv und vielfältig ins Museum einbringen – anders als bei einem reinen Ausstellungsbesuch. Mit dem Schritt vom „Besuch“ zur „Nutzung“ gewinnt das Museum an Relevanz für die Gruppe und es entsteht ein für sie nutzbarer (Sozial-)Raum: „Das […] Verständnis von Sozialräumen als subjektive Lebenswelten lenkt den Fokus auf das subjektive Erleben und Verhalten.“[3] Der Begriff „Sozialräume“ bedeutet hier Handlungsräume, in denen Aneignung und soziale Beziehungen entstehen. Durch Handlungsorientierung wird „Empowerment“ und Engagement für ein persönliches Anliegen ermöglicht.[4]

Multiperspektive: Besucher:innen, Nutzer:innen, Mitgestalter:innen und Forscher:innen

In diesem Projekt stehen die „Members“ der Mission Control in einer vielfachen Rollenzuschreibung, was auch Unschärfen mit sich bringt. Verändert das Museumsteam den Blickwickel, mit dem es auf das Projekt und die Partner:innen schaut, ändert sich auch die Rolle der Jugendlichen:

  • Im Rahmen des Citizen-Scientists-Projekts agieren sie als Forscher:innen,
  • seitens des Vermittlungsteams werden sie als Nutzer:innen adressiert,
  • indem die Mission Control mitbestimmt, z. B. bei der oben erwähnten Vitrinengestaltung oder in Form einer dreimonatigen Ausstellung ihrer kreativen Arbeiten, treten die Jugendlichen als Mitgestalter:innen im Museum auf.

Die unterschiedlichen Bezeichnungen, die das Museum in der Kommunikation über die Mission Control verwendet, spiegeln diesen multiperspektivischen Zugang: „Jugendbeirat“, „Mission Control“, „Jugendinitiative“. Eines ist jedoch klar: Als punktuelle Besucher:innen verstehen sie sich selbst nicht mehr – und das Museumsteam auch nicht. 

Informierte Teilhabe, Partizipation und Ownership

Der Anspruch, „radikal partizipativ“ zu arbeiten, ist für beide Seiten – Museumsteam wie Jugendliche – eine Herausforderung und ein laufender Lernprozess, verbunden mit Unsicherheiten und Wagnissen. Immer wieder zeigt sich: Partizipation will geübt sein! Die hierarchische Situation (Bundesmuseum – Schüler:innen) wirkt und gelernte Erwartungen an ein Programmangebot spiegeln sich in der Frage „Was machen wir heute?“ Zugleich zeigen die Jugendlichen viel Interesse an Inhalten, Entscheidungsfreude und den Wunsch, bei konkreten Anlässen mitzugestalten. Die Vermittlerinnen reflektieren laufend den adäquaten und möglichen Partizipationslevel. Die Basis dafür bildet viel Beziehungsarbeit seitens der begleitenden Vermittlerinnen und ein ständiges Abwägen, ob das gewählte Maß an Partizipationsanreizen gerade passt: für die Situation, die aktuelle Gruppendynamik, die weitere Prozessentwicklung und Verankerung. „Ins Gespräch kommen“ bedeutet Beziehungsaufbau durch Verlässlichkeit, Vertrauen und Kontinuität und Zutrauen in die Fähigkeiten der Teilnehmer:innen. Also mit der Gruppe „im Gespräch bleiben“. 
Im Sinne von „Informed Consent“ und Transparenz hat das Team mit den Teilnehmer:innen darüber gesprochen, dass ihre Teilnahme freiwillig ist, jederzeit beendet werden kann (auch wenn Kontinuität ein Wunsch ist), dass keine schulische Verbindung besteht (keine Informationen an Lehrer:innen, keine Benotung) und dass sie selbst sowohl Forschende als auch Zentrum der Forschung sind: „[Ziel ist], die Sichtweise(n) der Jugendlichen kennenzulernen, zu diskutieren und abzubilden. […] Die Jugendlichen als Expert:innen ihrer Lebenswelt formulieren […] Fragen und machen ihre Umsetzungen bzw. Ergebnisse […] sichtbar. Erkenntnisse der MC sollen auch in eine künftige Space-Ausstellung des TMW einfließen.“[5]
„Ownership“[6] zu teilen, inkludiert für das Museumsteam den eigenen fachlichen Blickwinkel zur Diskussion zu stellen und Deutungshoheit abzugeben. „Ownership“ aufzubauen ist für die Members ein identitätsbildender Prozess, bei dem sie Wagnisse eingehen und sich zeigen, Wertschätzung und Anerkennung ihrer Kompetenzen erfahren. „Ownership“ drücken die Jugendlichen in der großen Motivation aus, wenn es darum geht, etwas im Museum zu verbessern, ihre Kritik und ihre Sichtweise einzubringen. Wie so oft ist Partizipation auch hier zugleich Ziel und Methode und ein laufender Prozess: Der Blick bleibt darauf gerichtet, „radikal partizipativ“ zu sein. In der Praxis muss das für den Moment adäquate Maß gefunden werden. Als Prozess bedeutet dies laufende Reflexion: Das Gespräch mit einer Gruppe fortzusetzen, inkludiert auch, über diese Prozesse zu sprechen.

Kernteam im Technischen Museum Wien:
Christian Klösch, wissenschaftliche Projektleitung, 
Doris Erhard, Projektkoordination, 
Manuela Gallistl und Sarah Rosenbichler, Vermittlung

This is (not) Rocket Science! wird im Rahmen der Förderschiene Sparkling Science 2.0 gefördert. Mit diesem Programm fördert das BMBWF Citizen-Science-Projekte, in welchen Kinder, Jugendliche und die Zivilgesellschaft aktiv in den Forschungsprozess einbezogen werden.

Credits und Zusatzinfos: 

Anmerkungen

1  Kinder und Jugendliche bilden einen Anteil von über 50 Prozent der Besucher:innen im Technischen Museum Wien.
2  Vgl. dazu: Anja Piontek, Museum und Partizipation. Theorie und Praxis kooperativer Ausstellungsprojekte und Beteiligungsangebote, Bielefeld 2017, S. 455 ff.
3  Ulrich Deinet, 2009, hier zitiert nach Kerstin Hübner, Viola Kelb, „Kulturelle Bildung und Sozialraumorientierung“, in: Kerstin Hübner [u. a.], Teilhabe. Versprechen?! Diskurse über Chancen- und Bildungsgerechtigkeit, Kulturelle Bildung und Bildungsbündnisse, München 2017, S. 43.
4  Ebda, S. 45.
5  Auszug aus dem „Informed Consent“ der Mission Control.
6  Martijn Wiarda, Kalli Giannelos, Stefanie Schuerz [u. a.], Ethics Framework and Guidelines: A guide for research funding organizations implementing participatory activities, o. O. 2023, S. 11, S. 29.
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