Einblick in die Ausstellung – Foto: Mikael Grunwaldt
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Publikumsstudie in Ausstellungsform?
„Kiel, DU bist gefragt. Eine Mitmachausstellung zur Zukunft des Kieler Stadt- und Schifffahrtsmuseum“
Von: Sonja Kinzler (Museumsleiterin, Kieler Stadt- und Schifffahrtsmuseum), Kiel

„Ein gerüttelt Maß“ an Besuchendenorientierung braucht jedes Museum. Um fest- zulegen, wen man gezielt ansprechen möchte – „alles für alle“ hat noch nie gut funktioniert –, braucht es Daten: Wer kommt? Woher? Mit welchen Vorstellungen vom Museum, mit welchen Erwartungen an den Besuch? Womit sind die Besuchenden zufrieden, womit nicht? Wer kommt warum nicht? In vielen Museen gibt es dazu solides Beobachtungs- und Erfahrungswissen. Publikumsforschung kann dieses Wissen konkretisieren, quantifizieren, auch korrigieren. 

Kiels historisches Museum stellt gerade ein Zukunftskonzept auf, in dem unter anderem Besucher:innenorientierung gestärkt wird. Vor diesem Hintergrund wurde erstmalig eine Publikumsstudie durchgeführt (im Folgenden: Studie), die die oben genannten Fragen grundlegend beantworten konnte. Um das Museum inhaltlich und methodisch weiterzuentwickeln, lud es zudem in eine ungewöhnliche Aus- stellung mit Werkstattcharakter ein, deren Konzeption in diesem Beitrag umrissen und zur Studie in Bezie- hung gesetzt wird. 
Kurz zur Institution: Das kommunale „Kieler Stadt- und Schifffahrtsmuseum“ besteht aus drei Ausstel- lungshäusern: einem sehr kleinen Stadtmuseum, das seit 1970 Wechselausstellungen zur Kieler Kunst- und Kulturgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert in einem vormaligen Adelshof zeigt, einem Schiff- fahrtsmuseum mit stadthistorischer Ausrichtung, das 1978 in einer ehemaligen Fischauktionshalle eröffnet wurde, und dem kleinen Industriemuse- um Howaldtsche Metallgießerei, das 2020 über- nommen wurde. Die rund 1.500 m2 Ausstellungsfläche und drei Museumsschiffe wurden in den letzten Jahren von durchschnittlich insgesamt 60.000 Menschen besucht (www.kiel-museum.de). 

Die Mitmachausstellung zur Museumszukunft mit dem Titel Kiel, DU bist gefragt! und die Studie ergänz- ten sich methodisch. Eine Ausstellung gewissermaßen als Befragungsmedium zu nutzen, ist allerdings sehr unüblich und in der hier durchgeführten Konsequenz vielleicht gänzlich neu. Ein großer Vorteil am Format Ausstellung ist, dass es als Kommunikations- weg zwischen Museum und Öffentlichkeit gut ein- geübt ist, denn eine Ausstellung ist das, was in Museumsräumen erwartet wird, und so kommunizieren Museen herkömmlicherweise mit dem Publikum. Dass die Inhalte dieser Ausstellung ganz überwiegend erst durch die Beiträge der Besuchenden entstanden (und während des Individualbesuchs vor allem – zeitversetzte – Kommunikation zwischen lesenden und schreibenden Besuchenden stattfand), sorgte freilich allseits für Überraschung, die von Irritation bis Begeis- terung reichte, von „Das ist ja gar keine richtige Ausstellung!“ bis „Wunderbar interaktiv!“ [1] 
Nebenbei ließ sich mit der Integration von Ausstellungsbetrieb und Befragung/Beteiligung der Öffentlichkeit auch eine Ressourcenbündelung erreichen, denn das Museum hielt während der Neukonzeption den Wechselausstellungsbetrieb aufrecht. Das Museum wollte mit der Ausstellung Aufmerksamkeit für diese Entwick- lungsphase generieren und das Ziel einer stärkeren Öffnung in die Stadtgesellschaft bereits spürbar werden lassen. Wichtig war somit, Partizipation auszuprobieren. Dazu hatte es in vorherigen Sonderausstel- lungen schon verschiedene Ansätze gegeben, nun wurde Partizipation zum Prinzip. Dazu war zunächst eine museumsinterne Verständigung über den Grad der Beteiligung und über dessen Kommunikation im Sinne eines Erwartungsmanagements notwendig. Im Ergebnis bat das Museum die Besuchenden um Rat für seine Weiterentwicklung, vor allem in Form schrift- licher „Impulse“, um das Museum „noch interessanter zu machen“ (so im Begrüßungstext). Die Besuchen- den hatten zudem an ausgewählten Stationen die Möglichkeit, in Art einer Abstimmung mit eingangs ausgeteilten Papiermarken zu Meinungsbildern bei- zutragen, nicht aber etwa über Ausstellungsthemen abzustimmen. Die Partizipation erstreckte sich nicht auf die Vorbereitung der Ausstellung. 

Die Ausstellung auf einer Fläche von rund 150 m2 gliederte sich in Fragen rund um Vorstellungen von den Aufgaben von Museen (Raum 1, wo auch das Museum mit seinen Standorten und seine Sammlung kurz vorgestellt wurden), Fragen nach dem Image und nach Besonderheiten Kiels sowie nach Wissen um die und Interessen an der Kieler Geschichte (Raum 2), dazu kamen Fragen nach den Erwartun- gen an einen gelungenen Museumsbesuch (Raum 3, der auch für Workshops genutzt wurde) und Fragen nach Themen, die die einzelnen Besuchenden und, nach deren Einschätzung, die Stadt beweg(t)en (Raum 4). Fast 3.000 schriftliche Impulse kamen in 27 Wochen Laufzeit zusammen, während die elfmonatige Besuchenden- und Nichtbesuchenden- befragung bis Sommer 2024 Antworten von rund 750 Menschen festhielt. Im Unterschied zur Studie konnte die Ausstellung viel detaillierter Erwartungen in Erfahrung bringen, und die offene Form des Blankokärtchens lud ein, Lebensweltbezüge viel individueller zu formulieren. Die einzelnen Aussagen sind aber, ganz im Gegensatz zu denjenigen, die die Studie erfasste, nur im Einzelfall mit Informationen zur Person verbunden – rund hundert Karten wurden beispielsweise in einer anderen Sprache als Deutsch beschrieben (die meisten Gäste der Häuser, auch des Stadtmuseums, in der die Ausstellung lief, kommen nicht aus Kiel), ähnlich viele wurden mutmaßlich von Kindern verfasst (die in der Studie kaum Berücksichti- gung fanden). Wer in der Ausstellung mitgemacht hat, erschließt sich also nicht aus den Besuchendenbeiträgen der Ausstellung, aber über das Besuchendenprofil des Hauses gibt ja die Studie Auskunft. Im Vergleich zur stärker quantitativ angelegten Studie war die Ausstellung mehr ein Hinhören, welche Themen das Publikum ins Museum trägt. Gleichwohl erfolgte eine systematische Auswertung der Impulse von Kiel, DU bist gefragt!. Die Beiträge wurden in zweiwöchigen Abständen dokumentiert (gezählt, in Tabellen übertra- gen) und kategorisiert, sodass das Museum zur Finis- sage der Öffentlichkeit zentrale Ergebnisse präsentieren konnte. Beispielsweise drehten sich die Beiträge rund um die Fragen, was die Stadt veränderte und verändert, schwerpunktmäßig um Stadtentwicklung (etwa Zerstörung und Wiederaufbau nach dem Krieg, aktuelle Veränderungen), Mobilität (etwa die aktuelle Debatte um eine Wiedereinführung der Straßenbahn) und Soziales (etwa steigende Mieten oder Migrati- on). Im Ergebnis weiß das Museum nun deutlich mehr über mögliche Anknüpfungspunkte an die Lebens- welten der Menschen, die das Museum besucht ha- ben (und bereitet zum Beispiel konkret eine histori- sche Ausstellung zum Thema Mobilität in Kiel vor). 

So wie die Studie um Nichtbesuchendenbefragun- gen ergänzt wurde, bemühte sich das Museum auch in der Mitmachausstellung um Austausch mit Men- schen, die vielleicht nicht ohnehin in die Ausstellung gekommen wären. 12 Zukunftsworkshops im World- caféformat thematisierten: „Museum ist etwas für ...“, „Was möchte ich im Museum sehen?“, „Was bedeutet es für mich, im Museum mitzumachen?“, „Wie stel- le ich mir ein Museum in 5 oder 10 Jahren vor?“ Kurz- fassungen der Ergebnisse wurden unmittelbar Teil der Ausstellung. Die Workshops hatten durch die Aus- wahl der Gruppen – vom kommunalem Forum für Migrant:innen über Langzeitarbeitslose bis zu Didak- tikstudierenden oder Schulklassen – Ansätze von Fokusgruppenarbeit. 

Die Ausstellung Kiel, DU bist gefragt! stellte also Fragen an die Besuchenden, unterschied sich metho- disch aber deutlich von einer herkömmlichen Studie. Beide Herangehensweisen können sich gut ergänzen, und Bausteine daraus können gut dauerhaft in den Museumsbetrieb integriert werden, damit Museen mit dem Publikum gut im Gespräch bleiben. 

Credits und Zusatzinfos: 

Anmerkungen 
1 Und der Mut dazu trug maßgeblich dazu bei, dass die Ausstellung den MUTEC-Innovationspreis 2024 erhielt, www.mutec.de/de/news/premiere-fuer-mutec-award-das-sind-die-gewinner (16. 1. 2025) 
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