
Foto: Wien Museum
Perspektivenwechsel. Begegnungen im Museum
Die erste Community Gallery Ausstellung im neuen Wien Museum
Ins Museum ging ich in meiner Kindheit und Jugend nur im Rahmen des Schulunterrichts.
Damals fühlte ich mich in den mächtigen Gemäuern eher unwohl und fehl am Platz. Ich hatte als Arbeiterkind wenig Berührungspunkte mit Kunst- und Kultureinrichtungen und dachte, dass das diese sowieso nur etwas für eine kleine und in sich geschlossene Elite wären.
Außerdem sah man in Museen kaum „solche wie mich“, also Menschen mit einem sogenannten Migrationshintergrund. Maximal das Reinigungs- und Sicherheitspersonal waren – und sind bis heute – oftmals keine „Autochthonen“.
Umso mehr freut es mich, dass es in den letzten Jahren ein großes Umdenken in vielen Museen gibt. Diese wollen kein elitärer Club mehr sein, sondern fokussieren auf ihren Bildungsauftrag und versuchen, so vielen verschiedenen Menschen und Zielgruppen wie möglich ihre Inhalte zugänglich zu machen und zeitgleich auf mehr Diversität – auch in ihrer Belegschaft – zu achten.
Seit mehr als zwölf Jahren begleite und berate ich Museen in Österreich und der EU und konzipiere mit ihnen unter anderem diversitätssensible und partizipative Formate wie z. B. den Tea Talk im Belvedere 21 oder den mumok Frauenchor.
Zugleich habe ich sukzessive ein diverses Netzwerk aufgebaut und viel Zeit in Beziehungs- und Vertrauensarbeit investiert. Diese spezielle Bindung benötigt viel Aufmerksamkeit und Offenheit und ist die Basis für Communityarbeit auf Augenhöhe. Inzwischen kann ich mein vielfältiges Netzwerk regelmäßig über aktuelle diversitätssensible Vermittlungsformate und Kooperationsmöglichkeiten in Museen und anderen Kultureinrichtungen informieren.
Seit September 2022 bin ich neben meiner selbständigen Tätigkeit auch für Outreach & Communityarbeit im neuen Wien Museum verantwortlich und durfte die erste Community Gallery Ausstellung Perspektivenwechsel – Begegnungen im Museum gemeinsam mit einer vielseitigen Frauengruppe kuratieren. Wir haben im April 2023 begonnen und durften Anfang Dezember unsere Ausstellung eröffnen.
Zu Beginn jedes Projekts lege ich mein Hauptaugenmerk auf zwei Gesichtspunkte. Zum einen beschäftigt mich die Frage: „Was bringt es der jeweiligen Community, wenn sie sich aktiv in das Projekt einbringen?“ Zum anderen ist es mir wichtig, nicht mit einem fertigen Konzept im Kopf zu starten und die mitwirkende Community von Anfang an in die Projektentwicklung einzubinden. Die Mitglieder der Community agieren somit als Co-Kurator:innen auf Augenhöhe, immer mit dem vordergründigen Ziel, miteinander und voneinander zu lernen.
Unsere erste Ausstellung im Wien Museum entstand mit einer bunt gemischten Gruppe von elf Frauen unterschiedlicher Herkunft, verschiedener Generationen und Bildungslevel.
Wunsch und Idee dieser Frauen war es, das Depot und vier weitere Standorte des Wien Museums zu besichtigen. Diese Besuche wurden von einer externen Schreibtrainerin begleitet, die uns zum Schreiben ermutigte und auf diese Weise einen neuen Zugang zu den Objekten und unseren persönlichen Geschichten ermöglichte. Neben dem Depot besuchten wir das Uhrenmuseum, das Beethovenhaus, die Hermesvilla und das Musa.
Die Objekte und Erzählungen lieferten kreative Inputs, um über die eigene Geschichte und Lebenssituation nachzudenken und sie zu diskutieren. Wie überschneiden sich persönliche Erfahrungen mit der offiziellen Erzählung der Stadt? Welche Geschichten bleiben unerzählt?
Wir lasen uns gegenseitig unsere Texte vor und sprachen darüber, wobei es immer wieder zu ganz besonderen und emotionalen Momenten kam. Die vielen gemeinsam verbrachten Stunden ließen die Gruppe zu einer vertrauten und vielfältigen Einheit zusammenwachsen.
Der ergebnisoffene Prozess ließ viel Flexibilität zu. So ergab es sich, dass eine der Frauen, die als Filmemacherin und Fotografin tätig ist, den Wunsch äußerte, uns auch mit der Kamera zu begleiten. Eine bildende Künstlerin, die ebenfalls Teil der Gruppe war und ist, malte ein Bild, das später ein zentraler Punkt der Ausstellung werden sollte.
Am Ende des Prozesses gab es eine große Anzahl von Texten in sieben Sprachen, eindrucksvolle Fotos und ein großartiges Kunstwerk. Gemeinsam mit meinen wunderbaren Kolleg:innen im Wien Museum und unseren engagierten Co-Kurator:innen wählten wir daraus die Essenzen und fügten sie zu einem stimmigen Ganzen zusammen. Gedankensplitter daraus zeigen wir in unserer Ausstellung und stellen unseren Besucher:innen Fragen, mit denen auch wir uns intensiv auseinandergesetzt haben.
Zum Abschluss des Projekts entstand ein Video, in dem die Frauen beschreiben, wie sie diesen Prozess wahrgenommen haben. Es gab keinerlei Vorgaben außer, dass sie 45 Sekunden Zeit für ein Statement haben.
Hier einige Auszüge daraus:
Ich bin Rania aus Palästina und war Teil dieses wunderbaren Projekts. Ich sehe Wien jetzt mit anderen Augen, da dieses Projekt zu einer großartigen Reise der Selbstreflexion und Entdeckungen wurde. Wir hatten einen sicheren Hafen, um Erinnerungen und tiefe Gefühle zu teilen, aber auch, um sich über inspirierende Ideen bei einer Tasse Kaffee auszutauschen.
Ich bin Souzi aus Syrien. Alles, was sich echt anfühlt und menschliche Gefühle berührt, sei es eine Erinnerung, ein bestimmter Eindruck, eine Empfindung oder ein Gefühl der Zugehörigkeit, war in diesem Projekt dabei. Wenn es einem Museum gelingt, die richtige Zeit und den richtigen Ort zu finden und es natürlich auch die Gelegenheit gibt, alles aufzuzeichnen oder zu dokumentieren, bleiben diese Momente für die Ewigkeit erhalten.
Wir haben über unsere Gefühle und Gedanken geschrieben und gaben so dem Projekt eine individuelle Bedeutung, die sich definitiv von der bisherigen Lesart unterscheidet. Und das Tolle ist, in den Workshops, unseren Fotos und Texten haben wir uns mit der Vergangenheit auseinandergesetzt und das wird für die Zukunft erhalten bleiben.
(Hera aus dem Iran)
Ich heiße Nadja Reichert, ich bin Ukrainerin und lebe in Wien. Ich habe gemeinsam mit weiteren Frauen an diesem wunderbaren Projekt des Wien Museum teilgenommen. Ein Stadtmuseum, das über die Geschichte und Kultur der Stadt erzählt und Menschen zum Dialog einlädt. In unserem Fall ging es um diverse Frauen mit eigenem Schicksal, eigener Geschichte, Gegenwart und Zukunft. Ich bin sehr glücklich, dass es so eine Initiative zur kulturellen Begegnung und Reflexion gibt und man dort gestärkt für das eigene Leben herausgeht.
Ich bin Ildiko aus Ungarn. Das prägendste Erlebnis für mich in diesem Projekt war, dass nicht nur Schriftstücke, die entstanden sind, im Museum ausgestellt werden, sondern dass wir auch die Möglichkeit hatten, uns aktiv an der Organisation und bei der Ausführung dieses Projekts zu beteiligen. Die Museen merken endlich, dass neben der Weitergabe von Kultur auch die Erschaffung von Kultur zu ihren Aufgaben gehört. Sie geben Menschen eine Stimme, die in der Kultur von heute leben und diese selbst mitgestalten.
Als Schreibtrainerin ist es meine Aufgabe, die Frauen zum Schreiben zu bringen. Wir haben vier Häuser des Wien Museums besucht und uns von den dortigen Ausstellungen und Objekten inspirieren lassen. Im darauf anschließenden Schreiben und gegenseitigen Austausch kommt man automatisch zur eigenen Biografie. Das interessante daran war, dass – egal, woher die Frauen kommen – im Prinzip alle die gleichen Wünsche, Hoffnungen und Sehnsüchte haben.
(Dagmar Urban)
Es ist so schön zu sehen, mit wie viel Selbstbewusstsein die Frauen aus der Gruppe inzwischen ins Museum kommen und ihre Ausstellung vorstellen. Begleitend zur Ausstellung findet zweimal im Monat unser Gallery Talk statt, wo immer eine der Frauen Gastgeberin ist. Dabei steht der Austausch im Vordergrund, wir erzählen einander Geschichten, stellen Fragen, entdecken kulturelle Unterschiede und Gemeinsamkeiten oder arbeiten kreativ im Atelier, je nachdem welchen Schwerpunkt die Gastgeberin setzen möchte.
Ein wunderbarer Nebeneffekt ist, dass sich die Frauen auch untereinander vernetzt haben, um gemeinsam Aktivitäten zu besuchen oder selbst zu organisieren. Zwei der Frauen sind bei einem Mentoringprogramm aufgenommen worden, wo sie Einblick in die Kulturarbeit bekommen, um in diesem Bereich beruflich Fuß fassen zu können.
Besonders freuen wir uns, mit einem Nachfolgeprojekt weiterzumachen. Dabei soll es um Gegenstände gehen, die aus ihrem Alltag kommen An sie knüpfen sich Geschichten, die ihre Lebenswelten repräsentieren. Durch die Aufnahme dieser Objekte in die Sammlung des Museums sollen sie zu Autor:innen der materiellen Geschichte der Stadt werden.
Credits und Zusatzinfos:
Ümit Mares-Altinok: Perspektivenwechsel. Begegnungen im Museum. Die erste Community Gallery Ausstellung im neuen Wien Museum, in: neues museum 24/1-2, www.doi.org/10.58865/13.14/2412/5.