Foto: Norbert Artner
Museum und Demokratie am Beispiel der Ausstellung „Sehnsucht Frieden. 80 Jahre Kriegsende in Linz 1945 / 2025“
Stärker als sonst rücken in Gedenkjahren Fragen zur Erinnerungskultur und ihrer gesellschaftlichen Bedeutung in die öffentliche Wahrnehmung.[1] Erkennbar schlägt sich das gesteigerte Interesse am heurigen Gedenken in der konzeptionellen Schwerpunktsetzung der Museen nieder.[2] Die im September 2025 im Nordico eröffnete Ausstellung Sehnsucht Frieden. 80 Jahre Kriegsende in Linz 1945 / 2025 ist nach Prinzip Hoffnung (1995/96) und Geteilte Stadt (2015) die dritte Sonderschau im Nordico, die das Ende des Zweiten Weltkriegs als Ausgangspunkt für Überlegungen zur Funktion musealer Gedenkarbeit und ihrer Rolle innerhalb der politischen Bildung nimmt. Dabei ist Sehnsucht Frieden keinesfalls eine Wiederholung der bereits gezeigten Ausstellungen zu diesem Thema, liegen ihr doch gänzlich andere Fragestellungen zugrunde, die sich wiederum aus den geänderten gesellschaftlichen wie geopolitischen Lagen ergeben haben.
Die Welt hat sich verändert. Seit der letzten Ausstellung im Nordico zum Kriegsende 1945 und zur Nachkriegszeit sind annähernd zehn Jahre vergangen, in denen unser politisches System vor schwere Herausforderungen gestellt wurde und noch wird. Die Corona-Pandemie, Inflation, getrübte Wirtschaftsaussichten, Handelskriege und bewaffnete Konflikte sowie nicht zuletzt die zunehmende Verrohung der politischen Sprache haben zu einer Spaltung der Gesellschaft geführt, die in einem zunehmenden Infragestellen des Staates und der Demokratie als normbildendem politischen System gipfelt.
Frieden, Freiheit und Sicherheit sind nur einige der zentralen Errungenschaften, die als Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg und dem Nationalsozialismus genannt werden können und zu deren Wahrung sich Österreich verfassungsmäßig bekannt hat.[3] Wie stark dieses Bekenntnis aktuell in Bedrängnis ist, zeigt sich – trotz seiner museologischen Präsenz und des großen Zuspruchs – nicht nur am verstärkten Wunsch nicht unerheblicher Teile der Bevölkerung nach einer „starken Hand, die führt“[4], sondern auch an der zunehmenden Kritik an der Erinnerungskultur, die in der Frage nach dem „Wozu?“ zum Ausdruck kommt. Die Forderung, die Vergangenheit endlich ruhen zu lassen, kann auch als Resultat einer nach wie vor stark in der Gesellschaft verhafteten „Opferthese“ gesehen werden.[5] Hier liegt unverkennbar das Potenzial von Museen, die zielgerichtet und kritisch auf derartige, potenziell staats- und demokratiegefährdende Entwicklungen reagieren können.
Mit Sehnsucht Frieden versucht das Nordico Stadtmuseum einen zeitlichen Brückenschlag zwischen den Ereignissen vor 80 Jahren und der Gegenwart herzustellen und aktuelle gesellschaftspolitische Herausforderungen in ihren historischen Kontext einzubinden. Geschichte wiederholt sich nicht – so lautet ein Postulat der Geschichtswissenschaften.[6] Dennoch würden nur wenige Historiker:innen anzweifeln, dass es unverkennbar Ähnlichkeiten und Parallelen zwischen damaligen und heutigen Prozessen gibt, die zwar keine validen Prognosen zur weiteren Entwicklung zulassen, dafür aber zu einem besseren Verständnis des Heute beitragen können, vor allem jedoch das Bewusstsein schärfen für die Angriffe, denen unsere Demokratie und unser Wertekanon gegenwärtig von vielen Seiten ausgesetzt sind. Diesen Gedanken aufgreifend, verfolgt Sehnsucht Frieden einen partizipativen Ansatz – unter Verzicht auf eine paränetische Grundhaltung, die ein erwartbares Urteil der Besucher:innen nach sich ziehen würde.
Die drei durch die Ausstellung laufenden Zeitlinien NS-Zeit – Nachkriegszeit – Gegenwart sollen verdeutlichen, dass Letztere nicht losgelöst von ihren historischen Wurzeln betrachtet werden kann. Bei eingehender Auseinandersetzung zeigt sich, wie nachhaltig die NS-Zeit die politischen Entscheidungen der Nachkriegszeit geprägt hat. Die Folgen waren in Österreich bis in die frühen 2000er-Jahre offen sichtbar; unser ambivalentes Verhältnis zur eigenen Rolle in der NS-Diktatur ist noch heute spürbar.[7]
Ein Anliegen der Ausstellung ist es, durch eine sachliche und knapp gehaltene „Informationsbasis“ einen niederschwelligen Zugang zu den Ereignissen bei Kriegsende und in den ersten unmittelbaren Jahren der Nachkriegszeit zu schaffen. Erklärtes Ziel ist, neben dem klassischen Museumspublikum auch nicht museumsaffine Personen für die Ausstellung zu interessieren; auch das wird als Teil von Demokratiebildung verstanden. Ausgehend von dieser Grundhaltung spinnt sich der Leitgedanke der Ausstellung in die einzelnen Räume und Kapitelthemen weiter. „Frieden“ wird dabei als Idee und als Projekt innerhalb der Demokratie betrachtet – ein Projekt, das nie abgeschlossen ist und das aktive Bekenntnis benötigt, daran zu arbeiten, um als Zustand in der zwischenstaatlichen Beziehung fortzubestehen. Die Ausstellung zeichnet dabei unter anderem den Friedensprozess in Österreich – unter besonderem Bezug auf Linz – nach und versucht aufzuzeigen, wie sehr die Entscheidungen auf diesem Weg auch von der nationalsozialistischen Weltanschauung und dem Krieg beeinflusst worden sind.[8]
Im Zuge des von Martina Zerovnik entwickelten Ausstellungskonzepts hat sich früh die Notwendigkeit einer starken Einbindung des Vermittlungsteams gezeigt. Nicht nur erhält die Vermittlung erstmals einen eigenen Raum in der Ausstellung; mit der Gegenwartsebene wird zusätzlich bewusst eine interaktive Kommunikationsebene geschaffen, die während der gesamten Ausstellungslaufzeit durch die Impulse der Besucher:innen – mit oder ohne Vermittlung – wortwörtlich „wachsen“ soll. Auf dieser Ebene sollen, ausgehend von den thematisierten Herausforderungen in der Nachkriegszeit, aktuelle Fragen zur Bedeutung von Erinnerungspolitik, Meinungsfreiheit, Menschenrechten, Frieden und Sicherheit u. a. mit und durch die Besucher:innen erarbeitet werden.
Das Ergebnis ist dabei nicht vorweggenommen – Ziel ist es, Meinungen Raum zu geben, in der Hoffnung, dass am Ende ein offener und kritischer Dialog zwischen den Besucher:innen selbst, aber auch mit dem Museumsteam über die Laufzeit der Ausstellung entsteht. Die somit teils direkte, teils indirekte Kommunikation stellt das Vermittlungsteam erfahrungsgemäß vor Herausforderungen, die durch das Thema selbst noch vergrößert werden. Sie erfordern eine ständige Betreuung der Ausstellung und eine sorgfältige Vorbereitung des Teams, damit den Besucher:innen das Museum als ein Ort der gelebten Demokratie nähergebracht werden kann.
Credits und Zusatzinfos:
Anmerkungen
[1] Vgl. Martina Zerovnik, „Die Ausstellung als Sehnsuchtsort. Museales Gedenken am Beispiel der Ausstellung Sehnsucht Frieden“, in: Andrea Bina (Hg.), Sehnsucht Frieden. 80 Jahre Kriegsende in Linz 1945 / 2025, Linz 2025, S. 202–208, hier S. 202.
[2] Dabei sticht innerhalb Österreichs vor allem der Programmschwerpunkt des Landes Niederösterreich heraus. Siehe dazu Erinnern für die Zukunft in Niederösterreich, www.erinnernfuerdiezukunft.at/ (14.08.2025).
[3] So das Bekenntnis zur aktiven Friedenspolitik (Artikel 14), zur persönlichen Freiheit und Sicherheit (Artikel 30 und 31, 40)
[4] Siehe dazu diverse Umfrageergebnisse, bspw, Umfrage: Die Idee vom „starken Führer“ wird seltener abgelehnt, Die Presse, 4. März 2023, www.diepresse.com/6259083/umfrage-die-idee-vom-starken-fuehrer-wird-seltener-abgelehnt (14.08.2025).
[5] Siehe Österreich für 42 Prozent NS-„Opfer“, orf.at, newsv2.orf.at/stories/2228974/2228973/ (14.08.2025). 42% der Befragten sehen Österreich als erstes NS-„Opfer“, 30 % sehen den Nationalsozialismus nicht nur negativ. Der Widerspruch zur museologischen Präsenz und zum Zuspruch kann auch als Indikator für die tatsächliche gesellschaftliche Reichweite und Relevanz von Museen gesehen werden.
[6] Dahinter steckt vor allem die Ablehnung eines historischen Determinismus, wonach Geschichte nach festen, sich wiederholenden, vorhersehbaren Entwicklungen verläuft. Vgl. Dazu etwa Thomas Lutz Schweier, „Geschichtliche Reflexion bei Marx. Bemerkungen zu seinem Geschichtsverständnis“, in: Diethard Behrens, Hg., Geschichtsphilosophie oder das Begreifen der Historizität (= Schriften der Marxgesellschaft, Bd. 1), Freiburg / Wien 1999, S. 149–176.
[7] Siehe Anm. 4. Auch die späte Anerkennung verschiedener Opfergruppen durch die Politik steht symptomatisch für diesen Befund.
[8] Vgl. Zerovnik, „Ausstellung als Sehnsuchtsort“, S. 202–208, 204f.
Empfohlene Zitierweise
Sebastian Piringer: Museum und Demokratie am Beispiel der Ausstellung „Sehnsucht Frieden. 80 Jahre Kriegsende in Linz 1945 / 2025, in: neues museum 25/4, www.doi.org/10.58865/13.14/254/5
[1] Vgl. Martina Zerovnik, „Die Ausstellung als Sehnsuchtsort. Museales Gedenken am Beispiel der Ausstellung Sehnsucht Frieden“, in: Andrea Bina (Hg.), Sehnsucht Frieden. 80 Jahre Kriegsende in Linz 1945 / 2025, Linz 2025, S. 202–208, hier S. 202.
[2] Dabei sticht innerhalb Österreichs vor allem der Programmschwerpunkt des Landes Niederösterreich heraus. Siehe dazu Erinnern für die Zukunft in Niederösterreich, www.erinnernfuerdiezukunft.at/ (14.08.2025).
[3] So das Bekenntnis zur aktiven Friedenspolitik (Artikel 14), zur persönlichen Freiheit und Sicherheit (Artikel 30 und 31, 40)
[4] Siehe dazu diverse Umfrageergebnisse, bspw, Umfrage: Die Idee vom „starken Führer“ wird seltener abgelehnt, Die Presse, 4. März 2023, www.diepresse.com/6259083/umfrage-die-idee-vom-starken-fuehrer-wird-seltener-abgelehnt (14.08.2025).
[5] Siehe Österreich für 42 Prozent NS-„Opfer“, orf.at, newsv2.orf.at/stories/2228974/2228973/ (14.08.2025). 42% der Befragten sehen Österreich als erstes NS-„Opfer“, 30 % sehen den Nationalsozialismus nicht nur negativ. Der Widerspruch zur museologischen Präsenz und zum Zuspruch kann auch als Indikator für die tatsächliche gesellschaftliche Reichweite und Relevanz von Museen gesehen werden.
[6] Dahinter steckt vor allem die Ablehnung eines historischen Determinismus, wonach Geschichte nach festen, sich wiederholenden, vorhersehbaren Entwicklungen verläuft. Vgl. Dazu etwa Thomas Lutz Schweier, „Geschichtliche Reflexion bei Marx. Bemerkungen zu seinem Geschichtsverständnis“, in: Diethard Behrens, Hg., Geschichtsphilosophie oder das Begreifen der Historizität (= Schriften der Marxgesellschaft, Bd. 1), Freiburg / Wien 1999, S. 149–176.
[7] Siehe Anm. 4. Auch die späte Anerkennung verschiedener Opfergruppen durch die Politik steht symptomatisch für diesen Befund.
[8] Vgl. Zerovnik, „Ausstellung als Sehnsuchtsort“, S. 202–208, 204f.
Empfohlene Zitierweise
Sebastian Piringer: Museum und Demokratie am Beispiel der Ausstellung „Sehnsucht Frieden. 80 Jahre Kriegsende in Linz 1945 / 2025, in: neues museum 25/4, www.doi.org/10.58865/13.14/254/5










