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Foto: Ines Futterknecht
Mehr ist mehr
Stellen Sie sich vor, es stünden alle Waschmaschinen, Trockner und Geschirrspüler auf den Straßen. Nicht mittig auf der Fahrspur, sondern am Parkstreifen daneben. Fußgänger:innen passierten sie, würfen verstohlene Blicke auf Unterwäsche und Untertassen. Es wäre eine ganze Kolonne an Haushaltsgeräten, teils in Zweierreihe. In Wien stünden mehr als zwei Millionen, in ganz Österreich beinahe neun Millionen Geräte neben der Spur [1]. Und man würde sogleich fordern, vor allem in den aufgeregteren Parteien: Die Leute mögen doch bitte ihre Löffelchen und Höschen im Privaten reinigen. Wie käme denn die Allgemeinheit dazu, für diese – ja, zwar durchaus praktischen, aber doch lauten und im Durchschnitt nur eine Stunde am Tag genutzten – Kübel auf den öffentlichen Raum zu verzichten!
Sich von der Freiheit des Autos befreien
Derzeit schenkt Wien 27 Millionen asphaltierte Quadratmeter den Autos. Das sind 4.000 Fußballfelder oder zwei Drittel der gesamten Verkehrsfläche der Stadt [2]. Ein gemieteter Wohnquadratmeter kostet durchschnittlich 216 Euro im Jahr [3]. Flapsig auf die 14 Quadratmeter eines Parkplatzes gerechnet, müsste das Pickerl jährlich über 3.000 Euro kosten – tatsächlich kostet es 120 Euro. Der Platz wird also günstig und lange auch kostenlos jenen 53 Prozent der Stadtbewohner:innen zur Verfügung gestellt, die sich ein Auto leisten können oder wollen [4]. Der einkommensschwache Rest hat nichts davon – außer natürlich das idyllische Stadtbild unzähliger Blechkarossen.
Obwohl sich das Narrativ der „Freiheit des eigenen Autos“ beständig zeigt, sucht man sie doch vergeblich, im allmorgendlichen Berufsverkehr und den kilometerlangen Autobahnstaus, dem Unfallrisiko und den beträchtlichen Kosten von durchschnittlich 8.000 Euro im Jahr, angefangen beim Kaufpreis über die Wertverluste durch Abnutzung, die Kosten von Sprit, Vignetten, Versicherungen, Wartungen und Reparaturen [5]. Wir verzichten als Autobesitzer:innen auf vieles. Freilich, das Auto hat seine Berechtigung, vor allem abseits der Städte. Wir sind auf das Auto angewiesen, als Pendler:innen, als ländliche Bevölkerung und auch als die immer ins Rennen geführte ominöse Omi aus dem Waldviertel. Dass wir durch jahrzehntelang darauf ausgerichtete Raumplanung zur Freiheit des Autos und keineswegs zur Autofreiheit gezwungen werden, haben Entscheidungsträger:innen bewusst verursacht. Das gilt es nun kollektiv wieder bewusst zu entursachen. Denn als Gesellschaft verzichten wir für das Auto auf einiges mehr: auf gesunde, feinstaubfreie Luft, auf ruhige, motorenfreie Siedlungen, auf grüne und lebendige Städte, wo auf jedem Parkplatz ebenso Bäume, Wiesen und Blumen wachsen könnten, und auf Spielplätze und Cafés, wo derzeit flächige Parkplätze oder Parkhäuser stehen.
Auf den Verzicht des Status quo verzichten
Nicht nur in der Mobilität, sondern in allen Bereichen können wir uns fragen: Worauf verzichten wir denn schon jetzt? Welche Grundbedürfnisse haben wir bereits hintangestellt, um – long story short – Produkte kaufen zu können?
Verzichten wir in einer 30-Stundenwoche auf ein paar hundert Euro Gehalt – oder in einer 40-Stundenwoche auf Zeit mit Familie, Freund:innen und liebgewonnenen Menschen? Verzichten wir bei überwiegend pflanzlicher Ernährung auf das südamerikanische Billigrindfleisch – oder wie derzeit bei 66 Kilogramm Fleischkonsum pro Jahr und Schädel [6] auf eine ausgewogene Ernährung, die letztlich zu einer gesünderen Gesellschaft und damit einem günstigeren Gesundheitssystem führt? Verzichten wir bei Kreislaufwirtschaft auf ein zusätzliches Viertelprozent BIP-Zuwachs – oder bei geplantem Verschleiß, irreparablen Designs und Wegwerfprodukten auf den Genuss, den uns ein verlässlicher, hochwertiger Gegenstand beschert? Es klingt paradox, aber die ökologischen Wirtschafts- und Denkweisen, die wir zur Abwendung von Klimakrise & Co benötigen, stehen trotz aller Unkenrufe für Überfluss. Sie stehen mehr als der Status Quo dafür. Die Klimawende steht sogar für Wachstum – aber in Kategorien, die uns Menschen wirklich etwas bedeuten: Gesundheit, Gemeinschaft, Bildung, Kultur, Wissen und letztlich Lebensfreude. Warum wehren wir uns also so dagegen?
Ändert sich nichts, ändert sich alles
Menschen ruinieren sich lieber als sich zu verändern. Man kennt die erschreckenden Beispiele fortgeschrittener Suchtverhalten: Die Raucherin, die mit halber Lunge weiterhin ein Packerl am Tag tschickt, der Diabetespatient, der nicht auf seine Crèmeschnitte verzichten kann und schließlich auf sein Bein verzichten muss. Wir sind als Gesellschaften nicht nur in einer hartnäckigen Gewohnheit verfangen, sondern geradezu in einer Art Sucht, einer Sucht nach Mehr. Mehr ist mehr, so lautet die plakatierte Prämisse, und leider nicht in Bezug auf die zentralen oben angeführten Kategorien. Bewegungen wie Fridays For Future haben sich stets als Intervention verstanden, diese Absurdität aufzuzeigen – mit (Achtung, Hoffnungsschimmer!) dem überraschenden Erfolg, hunderttausende Menschen in Österreich und Millionen weltweit aufgeweckt und für das Lebenswerte mobilisiert zu haben. Mittlerweile hat Nachhaltigkeit auf allen Ebenen an Bedeutung gewonnen. Kuratorien, Vorstände und Direktionen müssen sich damit befassen, jede Branche wurde mit dem Thema konfrontiert. Die Transformation ist angestoßen, wir bewegen uns in die richtige Richtung – doch immer noch viel zu langsam.
Wie beschleunigen wir die Entschleunigung?
Es wäre realitätsfremd zu glauben, über Jahrzehnte gewachsene Systeme über Nacht ändern zu können. Strukturen besitzen eine gewisse Latenz, die sich auch mit dem frechsten Protestschild nicht überkommen lässt. Der Umbau eines Betriebs, die Anpassung der Gesetzeslage, Förderschienen, Lieferketten und vieles mehr – die nachhaltige Transformation betrifft ausnahmslos jeden Sektor unseres Systems, da wir ja auch jeden auf fossile Brennstoffe sowie schnellen Profit ausgerichtet haben. Wir können als Gesellschaft nicht darauf warten, dass den Konzernen die Kurzsichtigkeit auf den Kopf fällt – wir sitzen nämlich im selben Boot und haben das Debakel auszubaden. Hier kann und muss jede:r Einzelne etwas beitragen. Am effektivsten ist es, wenn man nicht einzeln bleibt: Wahlen, Zusammenschlüsse, Initiativen, Kooperationen bis hin zu Protesten wirken. Demokratischer Druck wirkt. In Ländern mit hohem politischen Engagement für Nachhaltigkeit haben Politiker:innen gleich welcher Couleur stärkere Klimaschutzgesetze verabschiedet. [7]
Der Widerspruch in einem selbst
Die vielleicht größten Barrieren existieren jedoch in uns. Man oszilliert regelrecht zwischen Schock und Bewunderung für die Macht menschlichen Denkens, wenn man die kognitive Dissonanz zwischen Einsicht und Tat betrachtet. Unsere Gewohnheiten stammen aus einem System, das auf Ausbeutung und Verschwendung beruht. Schuldige zu identifizieren ist müßig. Jemanden für ein Schnitzel oder eine Gasheizung zu verurteilen, löst weder das Problem noch resultiert es in Einsicht. Was man allerdings verurteilen muss: Sich vehement mit Ausreden den Fakten zu entziehen. Politiker:innen, Parteien und Unternehmer:innen, die seit Jahrzehnten Verantwortung tragen und die großen Hebel stets auf Klimaschädigung halten – sie sind das Problem, nicht der Schnitzelwirt.
Von viel Verzicht zu Zuversicht
Eine starke Vision des Morgens kann uns die Angst vor Veränderung nehmen. Mit einem positiven Bild der Zukunft sinkt auch die Tendenz, kurzfristige Belohnungen über langfristige Ziele zu stellen. Die Entscheidung ob Biokarotte oder Legebatterie-Hendl ist aber ein Nebenschauplatz. Es sind wir Menschen, die Schüler:innen unterrichten und Kinder erziehen, die Ausstellungen planen und betreuen, die sich um Äcker und Forste kümmern, die Entscheidungen in Abteilungen und Unternehmen treffen, die Kultur gestalten. Dort liegen die Lösungen – nicht am Supermarktregal. Jede:r Einzelne ist weit mehr als ein:e Konsument:in. Mit dem, was wir am besten können und am liebsten tun, können wir zur Veränderung wesentlich beitragen. Gerade dort können wir wirksam sein, ohne vom Gefühl des Verzichts bedrängt zu werden.
Museen für die Zukunft und die Zukunft der Museen
Für Museen, Galerien und Kulturinstitutionen sowie ihre Mitarbeitende gibt es viele Möglichkeiten. Darum gründeten wir 2019 Museums For Future, eine internationale Initiative zur Unterstützung der Klimawissenschaft. Über die Programmatik, die Netzwerke und die Praktiken des eigenen Hauses, aber vor allem durch die gewichtige Stellung in der Gesellschaft können Kulturinstitutionen etwas verändern. Museen genießen das Vertrauen ihrer, oftmals auch internationalen Besucherschaften. Enttäuschen wir sie nicht und ermutigen wir sie, eine Zukunft ohne Verzicht zu errichten.
Credits und Zusatzinfos:
Fußnoten:
[1] Statistik Austria, Konsumerhebung 2019/20, Ausstattungsgrad der privaten Haushalte – Konsumerhebung 2019/20.
[2] Stadt Wien, Straßenverwaltung und Straßenbau: Zahlen und Fakten zum Wiener Straßennetz, Wien, www.wien.gv.at (12.04.2024): Das Wiener Straßennetz umfasst insgesamt 41 km². Stadt Wien, Stadtentwicklung, Handlungsfeld „Öffentlicher Raum“ – Fachkonzept Mobilität, www.wien.gv.at (12.04. 2024) – 65% Prozent der Straßenfläche werden für Verkehr oder Abstellen von Autos genutzt.
[3] Aktuelle Immobilienpreise, Wohnungen Miete, www.immopreise.at (12.04.2024).
[4] Statistik Austria, Konsumerhebung 2019/20, Mobilität der privaten Haushalte 2019/2020, www.statistik.at/statistiken/bevoelkerung-und-soziales/ausgaben-und-ausstattung-privater-haushalte/ausstattung (12.04.2024)..
[5] LeasePlan Österreich Fuhrparkmanagement GmbH, LeasePlan Car Cost Index 2020: Elektroautos werden immer leistbarer, Wien: APA, 16. Oktober 2020.
[6] Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft, Tierische Produkte: Verbrauch und Selbstversorgungsgrad, info.bml.gv.at (12.04.2024).
[7] Sarah Louise Nash, Reinhard Steurer: Climate Change Acts in Scotland, Austria, Denmark and Sweden: the role of discourse and deliberation. Climate Policy Vol. 21, 1120-1131, 2021.
Zitat
Fußnoten:
[1] Statistik Austria, Konsumerhebung 2019/20, Ausstattungsgrad der privaten Haushalte – Konsumerhebung 2019/20.
[2] Stadt Wien, Straßenverwaltung und Straßenbau: Zahlen und Fakten zum Wiener Straßennetz, Wien, www.wien.gv.at (12.04.2024): Das Wiener Straßennetz umfasst insgesamt 41 km². Stadt Wien, Stadtentwicklung, Handlungsfeld „Öffentlicher Raum“ – Fachkonzept Mobilität, www.wien.gv.at (12.04. 2024) – 65% Prozent der Straßenfläche werden für Verkehr oder Abstellen von Autos genutzt.
[3] Aktuelle Immobilienpreise, Wohnungen Miete, www.immopreise.at (12.04.2024).
[4] Statistik Austria, Konsumerhebung 2019/20, Mobilität der privaten Haushalte 2019/2020, www.statistik.at/statistiken/bevoelkerung-und-soziales/ausgaben-und-ausstattung-privater-haushalte/ausstattung (12.04.2024)..
[5] LeasePlan Österreich Fuhrparkmanagement GmbH, LeasePlan Car Cost Index 2020: Elektroautos werden immer leistbarer, Wien: APA, 16. Oktober 2020.
[6] Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft, Tierische Produkte: Verbrauch und Selbstversorgungsgrad, info.bml.gv.at (12.04.2024).
[7] Sarah Louise Nash, Reinhard Steurer: Climate Change Acts in Scotland, Austria, Denmark and Sweden: the role of discourse and deliberation. Climate Policy Vol. 21, 1120-1131, 2021.
Zitat
Florian Schlederer: Mehr ist mehr, in: neues museum 24/3, www.doi.org/10.58865/13.14/243/1.