Schätze, die gehoben werden müssen
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Kurator aus Leidenschaft
Das Ehrenamt als Bereicherung für das eigene Leben
Von: Philipp Odelga (Universität Graz), Graz

Heute wird die Ausstellung eröffnet. Im Stadtmuseum Judenburg herrscht keine Hektik, aber es liegt eine gewisse Grundspannung in der Luft. Die Sonderausstellung Stadt.finden – Kindheit und Jugend in Judenburg zeigt Bilder aus 50 Jahren Alltagsleben: Palmweihe, Kinderfasching, Erstkommunion und Firmung, Schulklassen in geometrischer Ordnung, inszenierte Bürgerlichkeit auf Familienporträts, Jugendliche in rebellischer Pose beim 5-Uhr-Tee. Alles bleibt gleich, nur die Mode und Gesichter ändern sich.

Isolde Fluch, Sekretärin und administratives Gewissen des Museums, geht durchs Haus, deckt Tische, holt Sessel, rückt eine der Bildertafeln gerade, setzt, legt, stellt und wirft eine Flasche Wein um. „Das kommt davon, wenn man es besonders schön machen will“, meint Fluch lakonisch, während wir aufwischen. Es ist ein bisschen wie zu Weihnachten: tausend kleine Handgriffe, die keiner bemerkt, die aber einen großen Unterschied machen. Endlich gibt es nichts mehr zu tun. Max Sikora, ehrenamtlicher Mitarbeiter und das Mastermind hinter der Ausstellung, gönnt sich inzwischen noch eine letzte Zigarette im Innenhof. Aufgeregt? „Nein, eher erleichtert. Wir haben rund vier Monate lang an der Ausstellung gearbeitet, die Geburtswehen sind schon vorbei. Jetzt kann es losgehen!“

„Diese Vollständigkeit hat mich fasziniert“

Es ist bereits die zweite Ausstellung, die Sikora aus den Beständen der Fotosammlung erarbeitet hat. Mehr als 70.000 Fotos, Negative und Glasplatten werden im Stadtmuseum bewahrt oder ausgestellt, darunter auch der Nachlass der Berufsfotografin Maria Kuballa. „Sie war als die rasende Mitzi bekannt“, erzählt Sikora, „zur Ballsaison war sie überall gleichzeitig, eigentlich ein Wunder, wie sie das geschafft hat“. Kein Ereignis des öffentlichen Lebens blieb undokumentiert, die Fotos waren dann in den Schaukästen vor dem kleinen Atelier ausgehängt. Wer sich hier wiederfand, kaufte das Bild für das Fotoalbum zu Hause. „Diese Vollständigkeit hat mich fasziniert. Man kann ganze Biographien anhand der Bilder nachvollziehen“, beschreibt der 59jährige Sikora sein Interesse. Die Bilder regen ihn auch zum Sinnieren über das seltsame Ding „Zeit“ an: „Wie jung sie alle waren. Die feschen Damen sind heute alle 70.“ Auch seine eigene Jugendzeit war ein Faktor für die Wahl des Themas. 2018 wird man sich überall an 50 Jahre 1968 erinnern, auf den Fotos dieser Zeit wachsen Haare und Bärte, auch die Mode wird lockerer. „Man sieht aber, was für ein behütetes Leben die Menschen geführt haben und dass sie einen anderen Gemeinschaftssinn hatten. Das ist sicher ein Unterschied zu heute.“

Ein Schatz, der gehoben werden muss

Die ersten Besucher treffen ein. Begrüßung, lächeln, Smalltalk, erstes Durchwandern mit Aha-Effekten. Eine Dame entdeckt die ausgelegten Fotoalben und macht sich blätternd auf die Suche nach bekannten Gesichtern. Die Alben sind ein interaktives Element, das die Besucher dazu bringen soll, nicht nur an den Objekten vorbei zu spazieren, sondern in die Bilder und das Leben der Menschen einzutauchen. Faszinierend ist zum Beispiel ein Album mit Fotos einer Firmung aus den 1980ern: vor dem Bischof stehen junge Menschen, die Gesichter drücken Andacht, Nervosität, Glück, Ergriffenheit, aber auch ironischen Spott aus. Dieses Festhalten des besonderen Moments im scheinbar trivialen Alltag wollte Max Sikora vermitteln: „Ich beschäftige mich jetzt seit über zwei Jahren mit der Fotosammlung des Museums, zuerst auf unserer Facebookgruppe, dann hier im Rahmen von Ausstellungen. Die Bilder sind ein großer Schatz, der auch gehoben werden muss. Wir haben uns überlegt, wie man die Besucher vom oberflächlichen Schauen zum wirklichen Betrachten bringt. Fotoalben kennt jeder von zu Hause oder aus der Kindheit, die in die Hand zu nehmen, zu öffnen und durchzublättern ist für alle ganz natürlich, also fällt die Hemmschwelle weg, die viele im Museum empfinden. Es ist natürlich schön, wenn eine Idee so gut funktioniert.“

Was ist mir das wert?

Mittlerweile hat sich der Raum gefüllt. Der Bürgermeister und Museumsleiter Michael Schiestl halten ihre Begrüßungsreden, dann ist die Ausstellung eröffnet. Die Menschen bewegen sich an den Wänden entlang, schauen, reden, zeigen und staunen. Der ehrenamtliche Kurator Sikora ist zufrieden. Wäre es nicht besser und auch einfacher, wenn er das hier als bezahlte Arbeit machen könnte? „Mich könnte sich das Museum gar nicht leisten“, grinst er. Manchmal wird er gefragt, warum er sich diese ganze Arbeit eigentlich antue. „Ich glaube, dass ein Museum eine große Bereicherung für die Menschen sein kann, gerade in einer kleineren Stadt wie Judenburg.“ Dabei mitzumachen sei ihm wichtig. Außerdem sei es ja nicht so, daß er nichts von der Arbeit im Museum habe: „Ich kann hier meiner Leidenschaft nachgehen und sie dazu noch anderen Menschen nahebringen.“ Und das sei ihm sehr viel wert.

Credits und Zusatzinfos: 
Foto: Philipp Odelga
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