In der Dauerausstellung Spielwelten wurden Rassismus reproduzierende Exponate mit zusätzlichen Texten versehen: Hier in einem inszenierten Spielzeugladen
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Interven – was?! Und wer?
Ein Freilichtmuseum überarbeitet seine Dauerausstellung

„Schweres Erbe – neue Kontexte für veraltete Sichtweisen“ [1] – auch im Freilichtmuseum am Kiekeberg versucht man sich daran: In der Dauerausstellung Spielwelten wurde 2021 eine Intervention gestartet, die die Reinszenierung rassistischer Stereotype und kolonialer Blickregime brechen soll. Im Verlauf dieses Projekts wurde einmal mehr deutlich, dass Rassismus nicht nur „Erbe“ ist, sondern tief in unsere museale Gegenwart reicht und stetig reproduziert wird – manchmal ganz anders als geglaubt. Die Reflexion dieses Projekts wirft Fragen auf: Von welcher Position werden Rassismus und Kolonialismus als „neu“ wahrgenommen? Und für wen sind sie keine „Kontexte“, sondern Teil einer umfassenden Diskriminierungserfahrung? Es geht es um das Erneuern von Sichtweisen – und um viel mehr.

Die Ausstellung Spielwelten im Freilichtmuseum am Kiekeberg widmet sich Spielen und Spielzeug von 1900 bis in die Gegenwart. Ergänzt wird die thematisch nach Spielzeugarten gegliederte Ausstellung durch drei inszenierte Spielzeugläden. 2016 eröffnet, wurde die Ausstellung zum intergenerationalen Erlebnis- und Wissensort, war aber auch Anlass zur Kritik – von Besuchenden und von Mitarbeitenden. Diese Kritik fokussierte die Reproduktion von Rassismus anhand mehrerer Exponate: etwa einer Puppe mit groteskem, vermeintlich wildem Gesichtsausdruck und Bastrock oder stereotypen Darstellungen von Native Americans in Figuren und Büchern. Auch wurde auf den diskriminierenden Sprachgebrauch in den Ausstellungstexten verwiesen. Intern wurden Debatten um die (Un-)Möglichkeit der neutraler Darstellung historischer Realität und die Positionierung der Kurator:innen geführt, aber zunächst lediglich das N-Wort aus den Objektbeschriftungen entfernt. 2021 wurde dann innerhalb der wissenschaftlichen Abteilung eine Überarbeitung der Ausstellung initiiert: Ziel war es, die Ausstellung für alle Besuchenden zur einem informativen Ort und Safer Space werden zu lassen. Dabei wollte man keine rein kosmetische Nachbesserung vornehmen, sondern den eigenen Prozess sichtbar machen: Die Option, die kritisierten Exponate aus der Ausstellung herauszunehmen, wurde verworfen, da man die eigene Reproduktion von Rassismus nicht einfach unsichtbar machen wollte. Die Idee, die Exponate separat zu zeigen – etwa in einem als „Giftschrank“ fungierenden Raum – wurde ebenfalls diskutiert und verworfen: Die Pluralität von Bedeutungen sollte erweitert, nicht beschnitten werden. „Die Dinge fügen […] ihre jeweilige ‚kulturelle Biographie‘ dem relationalen Gewebe der kuratorischen Situation ebenso hinzu wie […] ihr ‚soziales Leben‘, die Aufgaben, Funktionen, Bedeutungen und Status also, die sie im Laufe ihrer Existenz und des Umgangs mit ihnen erhalten haben“[2], fasst Beatrice von Bismarck es unter Bezug auf Igor Kopytoff und Arjun Appadurai zusammen. Die bereits erwähnte Puppe reproduziert koloniale Blickregime, ist aber als selbstgemachtes Spielzeug in der Station Marke Eigenbau verortet. Belässt man sie in diesem Kontext, ergeben sich Fragen nach Intentionalität und Diskriminierung, die zum Begreifen von alltäglichem, aber auch strukturellem Rassismus im Heute notwendig sind.

Die Exponate wurden deshalb in ihren ursprünglichen kuratorischen Zusammenhängen belassen und um Texte ergänzt. Diese Texte wurden so angebracht, dass der Blick auf die Objekte eingeschränkt wird: Möchten Besucher:innen die Exponate betrachten, müssen sie sich neu zu ihnen positionieren, bewusst um die Ecke schauen. So soll zum einen eine aktive Auseinandersetzung gefördert und zum anderen eine Art Triggerwarnung ermöglicht werden. Zudem wurde die Ausstellung um weitere Exponate ergänzt: Es wird nun auch Spielzeug aus der Gegenwart gezeigt, das eine diverse Gesellschaft widerspiegelt, ohne Schwarze Menschen zu rassifizieren.

Beim Erarbeiten der Texte wurde in doppelter Hinsicht deutlich, was von Bismarck meint, wenn sie weiter schreibt, dass die sozialen und biographischen Vergangenheiten der am kuratorischen Projekt beteiligten Menschen ebenso einflussreich wie die der nicht-menschlichen Beteiligten sind.[3] Zu beiden Zeitpunkten – sowohl bei der Er-, als auch bei der Überarbeitung der Ausstellung wurde ein spezifischer sozialer Aspekt wirkmächtig: Das unkritische Weißsein. Die früheren Beziehungen der menschlichen und nicht-menschlichen Akteure, die in die Ausstellung einflossen[4], sind nicht verallgemeinerbar, sondern basieren auf von weißen Menschen gemachten Erfahrungen. 2016 wurden Aspekte von Rassifizierung und Exotismus, die den Objekten anhaften, durch andere Themen – wie das Selbstherstellen von Spielsachen – überschrieben. 2021 hatten die Museumsmitarbeiter:innen zwar eine andere Beziehung zu den Exponaten entwickelt, auch weil der Diskurs um Rassismus und die Möglich- und Notwendigkeiten zur antirassistischen Positionierung von Kulturbetrieben in den vergangenen Jahren präsenter geworden war. Allerdings stellten sie beim Überarbeiten der Ausstellung fest, dass die Grundlage ihrer Reflexion die klassische Dichotomie Museum/Besuchende zur Basis hatte – und dass diese Dichotomie zudem die „nicht von Rassismus betroffene Menschen/teilweise von Rassismus Betroffene“ war: Die Museumsmitarbeitenden sind fast alle weiß, das Kurator:innenteam ausschließlich. „Der selbstreflexive Zirkel reproduziert viele Ausschlüsse“[5], stellt Nora Sternfeld in der dem Sammelband Kuratieren als antirassistische Praxis vorangestellten Konversation mit ihren Mit-Herausgeber:innen fest – etwas, was bei der Überarbeitung der Spielwelten deutlich wurde. Im Verlauf der Selbstreflexion zeigte sich, dass eine antirassistische Positionierung noch nicht bedeutet, eine strukturell antirassistische Institution zu sein. Ungleichbehandlungen wie Diskriminierung und Privilegierung spiegeln sich in vielen gesellschaftlichen Bereichen und auf unterschiedlichen Ebenen wider – auch in Kulturbetrieben. 

Auch weil das strukturelle Problem nicht kurzfristig lösbar ist, wurde entschieden, für das Projekt Expertise zum Thema Rassismuskritik einzuholen. Über das Spielzeugmuseum Nürnberg, das 2021 seine Dauerausstellung neu beleuchtete und anschließend die Sonderausstellung Spielzeug und Rassismus. Perspektiven, die unter die Haut gehen präsentierte, kam der Kontakt zu Eric Mbarga, Diversity Trainer und damals Referent für Antirassismus- und Antidiskriminierungsarbeit in Bayern zustande. Die Zusammenarbeit mit Mbarga förderte nicht nur neue inhaltlich Aspekte zutage, sondern veränderte zudem die Vermittlungsweise: Die Texte wurden um direkte Fragen an die Lesenden ergänzt. Diese Fragen verknüpfen die Materialisierung von Rassismus in (historischen) Spielsachen mit der Gegenwart: „Kennen Sie aktuelle Filme und Serien mit und über Native Americans? Wie werden sie heute dargestellt?; Kennen Sie die Frage ‚Woher kommst du wirklich?‘ Haben Sie diese Frage selbst schon einmal gestellt oder gestellt bekommen?“.

Die bis dato eingetretenen Effekte des Projektes sind beachtenswert. Zum einen reagieren Besuchende auf die Intervention: Per E-Mail oder vor Ort kommen Museumsmitarbeiter:innen ins Gespräch und erfahren, dass sowohl von Rassismus Betroffene als auch weiße Menschen das Projekt gutheißen, sich aber inhaltliche Erweiterungen oder formale Änderungen wünschen. Dezidiert ablehnende Reaktionen gibt es kaum, aber wenn dann mit deutlich rassistischer Konnotation. Zum anderen sorgt das Projekt für Diskussionen unter den Museumsmitarbeitenden – abteilungsübergreifend und kontrovers. Diese kaum miteinander verknüpften „externen“ und „internen“ Effekte des Projekts spiegeln den Kristallisationspunkt, der auch schon beim Erarbeiten der Intervention auftauchte, wider: Wer ist eigentlich alles Museum? Wenn Natalie Bayer für antirassistisches Kuratieren „ein permanente[s] Daranarbeiten von allen möglichen Seiten“[6] fordert, betont sie im gleichen Satz, dass dies „nicht mehr nur aus vordefinierten Positionen erfolgen [kann], die sich zwischen den Polen von Ermächtigten oder Beisteuernden abspielen“[7]. Ob und wie eine Aufweichung oder ein Umsturz dieser Pole erfolgen wird, wird sich zeigen. Feststeht, dass der kuratorische Eingriff in die Dauerausstellung eine Reflexion über Teilhabe, die Produktion und Veränderung von Verhältnissen ausgelöst hat.[8]

„Museumsarbeit ist kompliziert geworden“[9], kann man angesichts der weitreichenden Konsequenzen, die antirassistisches Kuratieren – das in einer auf Gleichheit abzielenden demokratischen Gesellschaft eine Tautologie darstellen sollte[10] – mit sich bringt, meinen. Doch war Museumsarbeit schon immer kompliziert: Das Anlegen, Beschreiben und Ordnen von Sammlungen, das Auswählen, Präsentieren und Deuten von Exponaten war stets ein Versuch, zu ordnen, was per se immer vernetzt, immer in Bewegung und immer auch unordentlich ist. „Sie alle, menschliche und nicht-menschliche Beteiligte, versammeln sich und andere öffentlich um sich herum, beziehen damit weitere Kreise von Rezipient*innen als integrierte Bestandteile des kuratorischen Zusammenhangs mit ein. […] Sie setzen sich zu einem im erweiterten Sinne verstandenen sozialen Ensemble zusammen, das zu Verhandlungsprozessen ebenso zusammenkommen kann wie zu solchen der Proklamation, Demonstration oder Beweisführung“[11] schreibt von Bismarck unter Bezugnahme auf Bruno Latour. Die Intervention in der Spielwelten-Ausstellung im Freilichtmuseum am Kiekeberg versucht dieses Ordnen sichtbar zu machen und so seinen ehemaligen Objektivitätsanspruch als Instrument machtvoller Blickregime zu entlarven. Unweigerlich kam und kommt dabei die Frage auf: Wer sind wir, die wir neu-ordnen und Kon-Texte schreiben?

Von Bismarck schreibt dem kuratorischen Versammeln eine „Eigenzeitlichkeit“ zu, die sich durch „Formen des Verlaufs und des Überdauerns, Prozesse des Entstehens ebenso wie des Vergehens, Phasen des Sichtbar- und Nicht-Sichtbar-Seins“[12] auszeichnet. Zur Zeit versammeln sich Akteur:innen vielerorts neu. Man kann das als Komplikation begreifen – oder als Um-Ordnung sehen und – vermeintliche – Unordnung zulassen.
 
Fußnoten
[1] Schweres Erbe – neue Kontexte für veraltete Sichtweisen, in: H-Soz-Kult, www.hsozkult.de/event/id/event-129860 [Zugriff: 04.01.2022].
[2] Beatrice von Bismarck, Das Kuratorische, 1. Auflage, Leipzig 2021, S. 49.
[3] Vgl. ebd., S. 49ff.
[4] Vgl. ebd., S. 51.
[5] Natalie Bayer, Belinda Kazeem-Kamiński, Nora Sternfeld, „Wo ist hier die Contact-Zone?! Eine Konversation“, in: Natalie Bayer, Belinda Kazeem-Kamiński, Nora Sternfeld (Hg.), Kuratieren als antirassistische Praxis, 1. Auflage, Berlin 2017, S. 42.
[6] Ebd. S. 46.
[7] Ebd.
[8] Vgl. von Bismarck, Das Kuratorische, 2021, S. 63ff.
[9] “Schweres Erbe – neue Kontexte für veraltete Sichtweisen“, in: H-Soz-Kult, www.hsozkult.de/event/id/event-129860 [Zugriff: 04.01.2022].
[10] Vgl. Natalie Bayer und Mark Terkessidis: Über das Reparieren hinaus. Eine antirassistische Praxeologie des Kuratierens, in: Natalie Bayer, Belinda Kazeem-Kamiński, Nora Sternfeld (Hg.), Kuratieren als antirassistische Praxis, 1. Auflage, Berlin 2017, S. 58.
[11] Vgl. von Bismarck, Das Kuratorische, 2021, S. 47.
[12] Ebd.
 
Zitat
Julia Rausch: Interven – was?! Und wer? Ein Freilichtmuseum überarbeitet seine Dauerausstellung. In neues museum 23/1-2, www.doi.org/10.58865/13.14/2312/1

Credits und Zusatzinfos: 
Fotos: Julia Rausch
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