Daguerreotypie Rasterelektronenmikroskop-Aufnahmen von Chlor- und Korrosions-Ausblühungen (rechts); Lichtmikroskop-Aufnahmen von Korrosionsausblühungen und korrosiven Verfärbungen der Oberfläche; um 1845, Salzburg Museum
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Interdisziplinäre Forschung: Heritage Science und die verborgenen Geheimnisse von Museumssammlungen
Heritage Science Austria
Von: Valentina Ljubić Tobisch (X-Ray Center, Technische Universität Wien), Maria Bianca D'Anna (X-Ray Center, Technische Universität Wien), Eva Hallama (Abteilung Medientheorie, Universität für angewandte Kunst Wien), Robert Krickl (Österreichisches Archäologisches Institut, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien), Wien

Heritage Science Austria ist ein Netzwerk, das sich der Bewahrung des kulturellen Erbes und der Förderung interdisziplinärer Forschung in Österreich widmet. Der Eröffnungsworkshop „Heritage Science Days 2017“, organisiert vom Kunsthistorischen Museum Wien, der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und der Technischen Universität Wien, legte den Grundstein für dieses nationale Netzwerk, das im Jahr 2018 auch mit der Unterstützung Akademie der bildenden Künste Wien und der Universität für angewandte Kunst Wien offiziell gegründet wurde. Seit 2020 ist auch die Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) Teil der unterstützenden Institutionen. Ziel der Plattform Heritage Science Austria (HS-Austria), der jetzt mehr als 50 Institutionen umfasst, ist das Wissen über Kulturerbe und Heritage Science aus Forschungsinstituten, Universitäten, Bibliotheken und Museen zu bündeln und eine koordinierte Plattform zu etablieren, die in der Lage ist, Projekte auf nationaler und europäischer Ebene zu unterstützen.
 
2021 startete das Heritage Science Austria-Förderprogramm, das von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften initiiert und von der Nationalstiftung für Forschung, Technologie und Entwicklung unterstützt wird. Dieses Programm fördert Wissenschaftler:innen und Projekte zur Kulturerhaltung und ermutigt den Wissensaustausch zwischen Forscher:innen und der Öffentlichkeit. Der erste Aufruf hat großes Interesse geweckt, mit über 100 Bewerbungen von Hauptforscher:innen. Letztendlich wurden neun Projekte zur Förderung ausgewählt, die ein Netzwerk von rund 20 Institutionen umfassen.
In diesem Artikel möchten wir drei dieser Projekte kurz vorstellen, die sich mit sehr unterschiedlichen Objekten, Forschungsthemen und Zeiträumen befassen, jedoch alle starken Verbindungen zu Museen und Archivbeständen haben. Darüber hinaus veranschaulichen diese Projekte insgesamt gut, wie vielfältig und facettenreich das kulturelle Erbe und die „Heritage Sciences“ sind.
 

Der Einfluss früher Fotografie und Galvanotechnik auf die Schaffung von Bildern und die zeitgenössische Kunst  

Im themenübergreifenden Projekt PHELETYPIA treffen Vergangenheit und Gegenwart aufeinander. Das Projekt baut auf den Synergien zwischen Technikgeschichte, Konservierungswissenschaften, Kunstgeschichte und zeitgenössischer künstlerischer Forschung auf, und wird von der TU Wien, der Universität Wien sowie der Kunstuniversität Linz durchgeführt. Aus verschiedenen Perspektiven werden die technischen Hürden bei der Herstellung der frühen Fotografien (Daguerreotypien) und ihrer ersten Vervielfältigung durch eine in Wien entwickelte Ätztechnik sowie die weitere Vervielfältigung der Druckplatten mittels Galvanotechnik beleuchtet. Denn jede Daguerreotypie war ein Unikat, und erst durch ein in Wien entwickeltes Ätz- und Druckverfahren wurde es möglich, sie zu vervielfältigen. Ein wesentlicher Aspekt des Projekts ist daher die experimentelle Rekonstruktion der Wiener Daguerreotypie-Methoden. Dafür werden historischen Daguerreotypien und Druckplatten berührungslosen und zerstörungsfreien Untersuchungen unterzogen, um Aufschluss über ihre Herstellungsmethoden zu erhalten. Ein weiteres Ziel ist es, Alterungsphänomene und Korrosionsprozesse dieser sehr empfindlichen Objekte zu bestimmen und Strategien für ihre Erhaltung zu entwickeln. 
Neben der wissenschaftlichen Forschung wird das Projekt durch künstlerische Experimente ergänzt, bei denen zeitgenössische Kunstwerke geschaffen werden. Die gewonnenen Forschungserkenntnisse werden genutzt, um die Fragen der modernen Gesellschaft im digitalen Zeitalter zu thematisieren. Auf diese Weise wird praktisches Know-how mit kulturhistorischen Fragestellungen verknüpft, wodurch das erste Kapitel der Fotogeschichte mit dem jüngsten, das gerade geschrieben wird – der Verbindung von digitaler Fotografie mit den sogenannten sozialen Medien – zusammengeführt wird.

Projektmitarbeiter:innen: Anna Artaker,  Wolfgang Kautek, Valentina Ljubić Tobisch 

 

Sonic Memories. Audio Letters in Times of Migration and Mobility 

Das Projekt SONIME sammelt, restauriert, digitalisiert und beforscht privat aufgenommene Sprachnachrichten, die seit der Erfindung der Tonaufzeichnung Ende des 19. Jahrhunderts hergestellt wurden. Durchgeführt wird das Projekt von der Abteilung Medientheorie der Universität für angewandte Kunst Wien und dem Phonogrammarchiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Als Archivpartner fungiert das Technische Museum Wien mit der Österreichischen Mediathek.
Ein Fokus des Projekts liegt auf dem Versenden der eigenen Stimme in Migrationskontexten, in denen der gesprochene Brief die Funktion erfüllte, Beziehungen aufrecht zu erhalten, wenn die geographische Distanz ein Miteinander-Sprechen verunmöglichte. Hörbriefe weisen zudem eine hohe Diversität in Bezug auf ihre Materialzusammensetzungen auf, einige von ihnen konnten im SONIME Projekt auch mittels instrumenteller Analytik erstmals bestimmt werden.
Viele dieser privat aufgenommenen Unikate wurden im Projekt erstmals in die Datenbank der Österreichischen Mediathek eingepflegt und digitalisiert. Sofern rechtlich möglich werden Metadaten und Forschungsergebnisse auch über deren Online-Katalog zugänglich gemacht. Zentral war die Vernetzung mit dem Phonogrammarchiv der ÖAW, das in den letzten beiden Jahren durch den Ankauf neuer High-End-Geräte im Bereich der Walzen- und Tondrahtdigitalisierung die erste Anlaufstelle für die Abtastung seltener und beschädigter analoger Tonträger geworden ist. In Bezug auf Audiobriefe und privat aufgenommene Tonträger ist zudem der rege Austausch mit Thomas Levin und der Princeton University hervorzuheben, die eine der größten Sammlungen von gesprochenen Briefen international beherbergt.  
Die Forschungsergebnisse geben nicht nur Einblick in eine bisher unbeachtete Quellengattung, sondern auch in historische Materialien und sind damit sowohl für Gedächtnisinstitutionen sowie weitere Forschungsprojekte relevant. Zuletzt kann die Bewertung von privater Kommunikation und Objekten, die in Migrationskontexten entstanden sind, als österreichisches Kulturerbe nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Projektmitarbeiter:innen: Katrin Abromeit, Eva Hallama, Johann Hinterstoisser, Dominik Ivancic, Georg Kräutel-Höfer

 

Der Farbe auf der Spur – Polychromie der Steindenkmäler in den römischen Donauprovinzen

Das Projekt PolychroMon beschäftigt sich mit der Untersuchung der ehemaligen Farbigkeit von aus Stein gefertigten Skulpturen und Architekturelementen im mitteleuropäischen Grenzgebiet des Römischen Reichs. Das Projekt wird von einem interdisziplinären Team der Projektpartner Österreichisches Archäologisches Institut / Österreichische Akademie der Wissenschaften, Landessammlungen Niederösterreich, Kunsthistorisches Museum Wien und Bundesdenkmalamt durchgeführt. Das Projekt liefert den beteiligten Museen umfangreiche neue Daten zur Materialität und Interpretation von Sammlungsobjekten, die viele neue Erkenntnisse zulassen. Eine praktische Alltagsrelevanz besteht etwa speziell für Restaurierungs- und Konservierungsfragen, wozu die Ergebnisse stützende Grundlagen liefern. Die Resultate kommen nicht nur den großen als Projektpartner:innen beteiligten Institutionen zugute, sondern auch kleinen Museen, in welchen vergleichende Untersuchungen zur Verfeinerung des Gesamtbilds durchgeführt wurden. Für die diesbezügliche Vernetzung von Sammlung unterschiedlicher Größenordnung hat das Projekt einen starken Impuls geliefert. Die Ergebnisse werden künftig in interne und öffentlich zugängliche Datenbanken integriert werden. An die breite Öffentlichkeit wird das generierte Wissen in Form von Themenführungen, der Einrichtung eigener Ausstellungsbereiche zum Thema Polychromie und vielfältigen anderen Vermittlungsaktivitäten herangetragen – und so am Beispiel der Bewusstseinsschärfung für antike Polychromie, topaktuelle Wissenschaft ins Museum gebracht. Der interdisziplinäre Gedankenaustausch wird in vorliegendem Fall durch Kommunikation der Rolle der Naturwissenschaften für die Archäologie speziell gefördert.
 
Projektmitarbeiter:innen:  Gabrielle Kremer, Robert Krickl, Robert Linke, Georg Plattner, Eduard Pollhammer, Nirvana Silnović, Stephanie Stoss

Credits und Zusatzinfos: 

Empfohlene Zitierweise
Valentina Ljubić Tobisch, Eva Hallama, Robert Krickl, Maria Bianca D'Anna: Interdisziplinäre Forschung: Heritage Science und die verborgenen Geheimnisse von Museumssammlungen, in: neues museum 24/4, www.doi.org/10.58865/13.14/244/6.
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