
Luftbild der Schiffswerft Korneuburg, 1991, Foto: Museumsverein Korneuburg
Industriekultur im Dialog
Partizipative und intergenerative Sammlungsforschung im Stadtmuseum Korneuburg
Von:
Hanna Brinkmann (Senior Researcher, Universität für Weiterbildung Krems), Anja Grebe (Professur für Kulturgeschichte und Museale Sammlungswissenschaften, Stv. Dekanin –Department für Kunst- und Kulturwissenschaften, Universität für Weiterbildung Krems), Katja Brunn (Sammlungsmanagement, Museumsverein Korneuburg), Melanie N. Lopin (Obmann Stellvertreterin, Kulturvermittlung, Museumsverein Korneuburg), Otto Pacher (Obmann, Museumsverein Korneuburg), Krems/Korneuburg
Seit ihrer Gründung 1852 prägt die ehemalige Schiffswerft Korneuburg das Bild und ein Stück weit auch die Identität der Stadt. Sie war bis zur Schließung 1993 eine der größten Werftanlagen Österreichs und ist heute eine der bedeutendsten industriekulturellen Stätten in Niederösterreich. Eine städtebauliche Neuordnung des ehemaligen Industrieareals ist im Gange, wobei ein Teil der Alten Werft unter Denkmalschutz steht.
Bereits 1974 wurde ein Dauerausstellungsraum zur Werftgeschichte im Stadtmuseum Korneuburg eingerichtet. Die meisten Objekte sind jedoch erst nach der Schließung der Werft ins Stadtmuseum gelangt, wo sie nach und nach insbesondere durch drittmittelgeförderte Projektmitarbeiter:innen inventarisiert werden. Heute bildet der Bestand „Donau, Auen und Schiffswerft“ mit rund 300.000 Fotos, Objekten und Dokumenten den größten Sammlungsbestand innerhalb des Stadtmuseums.
Bislang wurden die Objekte primär aus der Perspektive der Industrie-, Technik- und Schifffahrtsgeschichte erfasst. Beim GFF-Projekt Industriekultur im Dialog (September 2023 bis Juni 2025) standen hingegen die Bedeutung für die Stadtgeschichte und städtische Identität im Fokus. [1] Ziel des Kooperationsprojekts zwischen dem Zentrum für Kulturen und Technologien des Sammelns der Universität für Weiterbildung Krems und dem Museumsverein Korneuburg war die sammlungswissenschaftliche Erschließung ausgewählter Objekte aus der Werftsammlung und ihre Anreicherung durch Erkenntnisse aus partizipativen Formaten wie intergenerativen Workshops, Zeitzeug:inneninterviews und Sammlungsaufrufen.
Lehrwerkstätte
Im Rahmen des Projekts ging es um die Bearbeitung einer noch kaum erforschten Objektgruppe, die jedoch einen historisch prägenden Teil des Werftlebens repräsentiert: Die 1938 eingerichtete und bis zur Schließung 1993 fortgeführte Lehrwerkstätte. Die praktische ebenso wie fachtheoretische Ausbildung in der bzw. den Lehrwerkstätten war neben der direkten Mitarbeit in den Arbeitspartien für viele Werftler:innen der Einstieg in das Berufsleben und eine oft jahrzehntelange Verbundenheit mit der Werft. Erlernt werden konnten Handwerksberufe wie Schiffsbauer, Tischler oder Elektriker, aber auch kaufmännische und technische Berufe; letztere standen auch weiblichen Lehrlingen offen.
Im Projekt wurden die Objekte zunächst von Katja Brunn in der Museumsdatenbank IMDAS Pro inventarisiert, digitalisiert und in der Folge über die DIP.noe-Datenbank des Museumsmanagements Niederösterreich online zugänglich gemacht. Neben der Erfassung der Grunddaten kamen auch neue, partizipative und intergenerative Methoden der Objektdokumentation und -forschung ins Spiel, die Bürger:innen aktiv in Forschungs- und Deutungsprozesse einbezog und diese mitgestalten ließ. [2]
Partizipative Forschung
Konkret ging es darum, die materiellen Zeugnisse der Lehrwerkstätten unter Beteiligung von ehemaligen Lehrlingen als Zeitzeug:innen im Rahmen von Interviews und intergenerativen Workshops mit Schüler:innen der BHAK Korneuburg zu erschließen. Dabei stand nicht zuletzt die Verbindung der Objekte mit dem immateriellen Erbe im Fokus, das hier als kulturelle und soziale Praktiken im Zusammenhang mit dem Werftleben und dem Ausbildungsalltag verstanden wird. Zudem war die Dokumentation von Spuren im Stadtraum und die Zugänglichmachung der Objektgeschichten in der bereits bestehenden „MuseumsMenschen“-Web-App (museumsmenschen.noemuseen.at) Ziel des Projekts.
Dem partizipativen Ansatz des Projekts lag das Verständnis von Museen als „living archives“ zugrunde, [3] das in Vielem auf der Idee des Dialogs beruht. Die Umsetzung in Bezug auf die Sammlungsforschung ist noch in den Anfängen, verspricht aber gerade für Museen in lokalen Kontexten einen hohen Mehrwert. Konkret zielte die mikrohistorische Perspektive darauf ab, in Zeitzeug:inneninterviews und ausgehend von den Sammlungsobjekten Erkenntnisse über den generellen Umgang mit und den Dialog über Erinnerungen im kommunalen Kontext zu generieren. [4]
Hierzu wurden von Hanna Brinkmann insgesamt 16 leitfadengestützte („teilstrukturierte“) Interviews mit ehemaligen Lehrlingen und Ausbildungsverantwortlichen durchgeführt. Die Zeitzeug:innen wurden zu zentralen Akteur:innen der Wissensproduktion im Stadtmuseum und erweiterten das bislang meist fachwissenschaftliche Erkenntnisspektrum um neue, berufs- und alltagspraktische Wissensbereiche und ermöglichten damit eine umfassendere und vielschichtigere Dokumentation der Objekte.
Auch bei der Auswertung wird auf die Vielfalt der Perspektiven geachtet. So trugen die Interviewten in einem gemeinsamen Workshop von Zeitzeug:innen und Projektteam zur Auswertung bei. Hierbei ergaben sich immer wieder mehrere Sichtweisen und Interpretationen, die sich im Idealfall ergänzen und ein ganzheitlicheres Bild, teils aber auch widersprüchliche Wahrnehmungen liefern. Alle Perspektiven bilden eine wichtige Grundlage für die weitere Forschung.
Die intergenerativen Workshops wurden gemeinsam mit dem Schulkooperationspartner, der BHAK Korneuburg, konzipiert und Ende Jänner 2024 im Rahmen einer von Melanie Lopin geleiteten Projektwoche durchgeführt. Die Workshops ermöglichten Korneuburger Schüler:innen mit ehemaligen Werftler:innen, die als Jugendliche eine Ausbildung in den Lehrwerkstätten der Werft gemacht hatten, in einen Dialog über ausgewählte Museumsobjekte und die Industriekultur ihrer Stadt zu treten.
Dabei konnten Schüler:innen und Senior:innen im Team zu Objekten und Dokumenten der Lehrwerkstätte kollaborativ forschen und Inhalte für die „MuseumsMenschen“-Web-App erstellen, sodass künftige Besucher:innen mehr über den Alltag in den Lehrwerkstätten und persönliche Zugänge zu den Objekten erfahren können. [5]
Durch die intergenerativen Workshops sollte einerseits ein lokales Geschichtsbewusstsein bei allen Teilnehmenden geschaffen bzw. verstärkt werden und andererseits der jeweils individuelle Blick auf die Stadtgeschichte und insbesondere die Werft in einem „Prozess des Lernens über die Generationen hinweg“ [6] ausgetauscht und sichtbar gemacht werden.
Die Projektwoche bot den Rahmen, um gemäß des Dialog-Ansatzes des Projekts gemeinsam über die Werft, die Sammlungsobjekte, persönliche Erinnerungen und Positionen nachzudenken, Meinungen zu bilden, Erfahrungen auszutauschen und Wissen zu teilen. Hierbei wurden Objekte aus diversen Perspektiven betrachtet, verstanden und interpretiert, und es konnte in diesem Prozess neues Wissen erzeugt und über die „MuseumsMenschen“-Web-App zugänglich gemacht werden.
Ausblick
Im Rahmen des Projekts traten Jugendliche, die ihr Wissen und Know-how im Umgang mit digitalen Medien einbrachten, mit Senior:innen, die im Sinne der Oral History Objektgeschichten lebendig werden ließen, in einen Dialog. Die Möglichkeiten der partizipativen und intergenerativen Wissensgenerierung und des Wissensaustauschs werden insbesondere im digitalen Raum lokaler Museen noch (zu) wenig ausgeschöpft. Anhand der Museumsobjekte reflektierten die Teilnehmenden gemeinsam die Beziehungen zur Stadtgeschichte und setzten sich kollaborativ mit den Themen Erinnerungskultur, Gedächtnisarbeit und Identität(en) auseinander.
Die Ergebnisse des Grundlagenforschungsprojekts sollen im Hinblick auf die historische und identitätsstiftende Bedeutung der Lehrwerkstätte und der Alten Werft weiter ausgewertet und in einer Publikation sowie über die Museumswebsite zur Verfügung gestellt werden.
Credits und Zusatzinfos:
Fußnoten
[1] Das Projekt wurde von der Gesellschaft für Forschungsförderung Niederösterreich (GFF) im Rahmen des Programms 100 Jahre Niederösterreich gefördert; www.donau-uni.ac.at/industriekultur-dialog (16.2.2025).
[2] Vgl. Pet Hetland u. a. (Hg.), A History of Participation in Museums and Archives. Traversing Citizen Science and Citizen Humanities, Abingdon-New York 2020.
[3] Amalia W. Sabiescu, „Living Archives and The Social Transmission of Memory“, in: Curator. The Museum Journal 63,4 (2020), S. 497–510.
[4] Linde Apel (Hg.), Erinnern, erzählen, Geschichte schreiben. Oral History im 21. Jahrhundert, Berlin 2022.
[5] Vgl. Edith Blaschitz, „Digitale Erinnerungstechnologien in der historischen Vermittlungs- und Bildungsarbeit“, in: Österreich in Geschichte und Literatur (ÖGL), H. 4, 2018, S. 364–371.
[6] Vgl. www.alte-neue-heimat.at/begleitheft (24.8.2024).
Empfohlene Zitierweise
Hanna Brinkmann, Anja Grebe, Katja Brunn, Melanie N. Lopin, Otto Pacher: Industriekultur im Dialog. Partizipative und intergenerative Sammlungsforschung im Stadtmuseum Korneuburg, in: neues museum 25/3, www.doi.org/10.58865/13.14/253/4.
Fußnoten
[1] Das Projekt wurde von der Gesellschaft für Forschungsförderung Niederösterreich (GFF) im Rahmen des Programms 100 Jahre Niederösterreich gefördert; www.donau-uni.ac.at/industriekultur-dialog (16.2.2025).
[2] Vgl. Pet Hetland u. a. (Hg.), A History of Participation in Museums and Archives. Traversing Citizen Science and Citizen Humanities, Abingdon-New York 2020.
[3] Amalia W. Sabiescu, „Living Archives and The Social Transmission of Memory“, in: Curator. The Museum Journal 63,4 (2020), S. 497–510.
[4] Linde Apel (Hg.), Erinnern, erzählen, Geschichte schreiben. Oral History im 21. Jahrhundert, Berlin 2022.
[5] Vgl. Edith Blaschitz, „Digitale Erinnerungstechnologien in der historischen Vermittlungs- und Bildungsarbeit“, in: Österreich in Geschichte und Literatur (ÖGL), H. 4, 2018, S. 364–371.
[6] Vgl. www.alte-neue-heimat.at/begleitheft (24.8.2024).
Empfohlene Zitierweise
Hanna Brinkmann, Anja Grebe, Katja Brunn, Melanie N. Lopin, Otto Pacher: Industriekultur im Dialog. Partizipative und intergenerative Sammlungsforschung im Stadtmuseum Korneuburg, in: neues museum 25/3, www.doi.org/10.58865/13.14/253/4.