Helmut Lackner (1954–2024). Ein Nachruf
„Ich freue mich eigentlich jeden Tag auf die Arbeit im Museum. Wenn ich in der Früh auf das große Haus zugehe und es betrete, fühle ich mich immer noch privilegiert hier arbeiten zu dürfen.“
Das hat Helmut Lackner kurz vor seiner Pensionierung 2019 gesagt – nach fast drei Jahrzehnten im Technischen Museum Wien. Unerwähnt ließ er dabei die tägliche Bahnfahrt zwischen seinem Wohnort Linz und seinem Dienstort Wien, die er jeden Morgen zu diesem Zeitpunkt bereits hinter sich hatte.
Helmut Lackner begann seine Tätigkeit im Technischen Museum Wien 1991 als Kustos für „Produktion und Industrie“, ein Jahr bevor das Museum von 1992 bis 1999 für den großen Umbau und für die komplette Räumung seine Pforten schloss. Ab 1995 leitete er die Fachabteilung „Industrie und Gewerbe“, damit trugen auch große Teile der damals gänzlich neu konzipierten Dauerausstellung seine wissenschaftliche und kuratorische Handschrift. 1998 bis 2000 lehrte er neben seiner Tätigkeit im Museum als Gastprofessor an der TU Wien. Ab der Wiedereröffnung des Hauses 1999 war er zuständig für die Bibliothek, das Archiv, die Publikationen, die Depot- und Inventarverwaltung sowie für die Restaurierung, bis er 2005 schließlich Sammlungsleiter wurde.
Helmut verkörperte eine lebende Museumschronik. Kaum eine Frage zur Geschichte und Entwicklung des Museums, die er nicht beantworten konnte und falls doch nicht, gab er wertvolle Tipps für die weitere Recherche (deren Ergebnisse er jedoch meist ein paar Tage drauf selbst vorlegte, weil es ihm dann doch keine Ruhe gelassen hatte). Der von ihm mitherausgegebene und redigierte 447 Seiten schwere Sammelband zum 100-jährigen Jubiläum des Museums („100 Jahre Technisches Museum Wien“, 2009) dient nach wie vor als unverzichtbares Nachschlagewerk zur Institutionsgeschichte eines österreichischen Bundesmuseums.
Ein besonderes Anliegen war Helmut nach dem Inkrafttreten des Österreichischen Kunstrückgabegesetzes 1998 die NS-Provenienzforschung. Mit großem Engagement trieb er die Forschungsinitiativen nach Sammlungs-, Archiv- und Bibliotheksbeständen aus Unrechtskontexten voran und schuf nachhaltige Strukturen, sodass die NS-Provenienzforschung bis heute fest im Technischen Museum Wien verankert ist. Höhepunkte waren diverse Rückgaben an die rechtmäßigen Erb:innen, mit denen Helmut Lackner teilweise auch herzliche persönliche Kontakte über den Restitutionsakt hinaus pflegte. Durch ihn und ihm nachfolgende Forschungskolleg:innen gelang schließlich die Aufwertung von Objekten der technischen, meist anonymen Alltagskultur. Diese etablierten sich – gegenüber oft prominenteren Werken der Kunst – als gleichwertige Bedeutungsträger für die kritische Auseinandersetzung mit der Rolle der Museen im Alltag der NS-Zeit zwischen (erzwungenen) Dauerleihgaben, Enteignungen, Raub, Mord und Vertreibung.
Helmut Lackner war viele Jahre Vertreter der wissenschaftlichen Geschäftsführung und Generaldirektion. Er galt als das wissenschaftliche Rückgrat des Hauses und blieb in wissenschaftlichen Belangen, so wie sich das eben für Jemanden mit Rückgrat gehört, unbeugsam und damit Vorbild und Orientierungspunkt für viele Kolleg:innen im und außerhalb des Museums. Seine Publikationsliste ist schier endlos und spiegelt seine vielfältigen Interessen und Begeisterung für die wissenschaftliche Arbeit. Er war aber auch für seinen Pragmatismus bekannt und dafür, dass er nie die Bodenhaftung zur Museumspraxis verlor. So verdankt ihm nicht nur das Technische Museum, sondern auch viele andere Museen in Österreich die erstmalige professionelle Annäherung an das damals noch stark umstrittene Thema Sammlungsqualifizierung durch Deakzession. Seine Erfahrungen und praktischen Fallbeispiele bildeten einen wesentlichen Grundstein für den von ICOM Österreich 2016 herausgegebenen und seither gültigen Leitfaden „Deakzession/Entsammeln“.
Er war es auch, der 2003 den Anstoß zur immer noch laufenden Depotinventur im Technischen Museum Wien gab. Sein letztes Großprojekt war die Planung des Depot-Neubaus in Haringsee (NÖ) und die anschließende, logistisch äußerst herausfordernde Depot-Übersiedlung (2015–2018). Seine diesbezüglichen Erfahrungen publizierte er gemeinsam mit dem beteiligten Team im Sammelband „Von Wien nach Haringsee. Ein neues Depot für das Technische Museum Wien“ (2019), mittlerweile Lehrstück und Pflichtlektüre für alle Depotplaner:innen.
Helmut war Mitbegründer der Central European Union of Technical Museums (MUT), in der Museumsszene hervorragend vernetzt, als Fachmann allseits anerkannt, als kollegialer Ratgeber hoch geschätzt, engagierte sich als Vorstandsmitglied im Österreichischen Museumsbund, in den Beiräten des Volkskundemuseums Wien und des Museum Arbeitswelt, Steyr, und unterstützte bis zuletzt den Museumsverein Judenburg. Seine biografische Verbindung zur Steiermark – seine Kindheit verbrachte er in seinem Geburtsort St. Lambrecht, in Judenburg besuchte er die Mittelschule und in Graz schließlich die HTL – prägte auch zeitlebens seine fachlichen Interessen, vor allem in den Themenfeldern Bergbau und Schwerindustrie. Anlässlich seiner Pensionierung sangen ihm die Mitarbeiter:innen des Technischen Museums Wien im Chor denn auch das sogenannte Bergmannslied „Glück auf!“ (Steigerlied). Das mag seltsam klingen, für Helmut und die Belegschaft war das jedoch sehr stimmig!
Helmut Lackner ist am 1. Mai 2024 nach langer Krankheit – gegen die er jahrelang tapfer und unverzagt gekämpft hatte – verstorben. Er wurde im Beisein seiner lieben Frau im Kreise seiner Familie, Freunde, Kolleg:innen und Mitstreiter:innen am 13. Mai 2024 in Linz-Puchenau bestattet. Und wieder war es ein Musikstück, das mehr als Worte zu sagen vermochte. Die Beisetzung begann mit einer Musikeinspielung von Frank Sinatras „New York, New York“ und rief damit den Anwesenden nicht nur die expeditive Reise- und Abenteuerlust von Helmut in Erinnerung, sondern auch seine Leichtfüßigkeit und den Little-Town-Blues, den er auf dem musealen Parkett zu tanzen verstand.
Das Technische Museum Wien und alle, die Helmut kennenlernen und über die letzten Jahrzehnte mit ihm arbeiten durften, trauern um ihn.
Martina Griesser-Stermscheg, Stellvertretung der wissenschaftlichen Geschäftsführung, Technisches Museum Wien mit Österreichischer Mediathek, Wien
Martina Griesser-Stermscheg, Stellvertretung der wissenschaftlichen Geschäftsführung, Technisches Museum Wien mit Österreichischer Mediathek, Wien
Credits und Zusatzinfos:
Foto: © Anja Manfredi, im Auftrag des Technischen Museum Wien (2009)
Foto: © Anja Manfredi, im Auftrag des Technischen Museum Wien (2009)