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Gespräche inmitten des Schweigens
Jüdische Museen in Zeiten von Krieg und Antisemitismus

Jüdische Museen haben einen besonderen gesellschaftspolitischen Auftrag, dessen Bedeutung sich besonders in Krisenzeiten zeigt – und diese sind seit dem 7. Oktober 2023, mit dem terroristischen Überfall der Hamas auf Israel und dem Beginn des Krieges in Gaza angebrochen. Nicht, dass sich Jüdische Museen in der Vergangenheit intensiv mit der Geschichte und schon gar mit der Politik Israels auseinandergesetzt hätten. Vielmehr waren Israel (abgesehen von der Darstellung als biblischer Ort sowie als Flucht- und Sehnsuchtsort) und der Nahost-Konflikt wie der sprichwörtliche Elefant im Raum, über den man nicht spricht, behandelt worden. Hat sich dies nun angesichts der Gewalteskalation, des grassierenden Antisemitismus und des zunehmenden Drucks auf Jüdische Museen, Stellung zu beziehen, geändert? Und: Wie können oder müssen Jüdische Museen jetzt handeln, um ihren gesellschaftspolitischen Auftrag zu erfüllen?

Jüdische Museen waren in Europa und insbesondere im deutschsprachigen Raum nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Ausnahme des Österreichischen Jüdischen Museums in Eisenstadt (1972) ab den späten 1980er-Jahren gegründet worden. Augsburg machte mit seinem Gründungsdatum 1985 den Anfang, es folgten, um nur einige Beispiele zu nennen, 1988 Wien, 1989 Frankfurt am Main und 1991 Hohemems, während die meisten anderen Jüdischen Museen im deutschsprachigen Raum in den späteren 1990er-, besonders aber in den 2000er-Jahren gegründet wurden. Ihr Auftrag war, an die durch die Schoa untergegangene jüdische Kultur zu erinnern und an die Bevölkerung – getragen vom Gedanken des „niemals wieder“– zu vermitteln. Waren die Anfänge Jüdischer Museen noch vom Gedanken des „jüdischen Beitrags“ zur Kultur und Geschichte des jeweiligen Landes geprägt, hat sich die Aufgabe in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt. Heute setzt die Mehrzahl der Jüdischen Museen aufgrund der zahlenmäßigen Vergrößerung jüdischer Gemeinden, aber auch wegen der Diversifizierung innerhalb dieser, auf die Vermittlung gegenwärtiger jüdischer Erfahrungen und die Vielfalt jüdischer Stimmen. 
Gesellschaftliche Debatten werden verstärkt ins Museum getragen, ob dies nun philosemitische Vorurteile (100 Missverständnisse über und unter Juden, Ausstellung, Jüdisches Museum Wien, 2022) oder Sexualität im Judentum (Sex. Jüdische Positionen, Ausstellung, Jüdisches Museum Berlin, 2024) sind, um nur zwei aktuelle Beispiele zu nennen. Jüdische Museen verstehen sich heute als Museen einer pluralen, offenen Gesellschaft, als Orte, an denen relevante gesellschaftliche Diskussionen stattfinden.

Dann kam der 7. Oktober und der Krieg. Schon zuvor war der politische Druck auf Jüdische Museen gestiegen – wir erinnern uns an die Ausstellung Welcome to Jerusalem im Jüdischen Museum Berlin, die unter anderem 2019 zum Rücktritt des damaligen Direktors Peter Schäfer geführt hat –, doch nun war eine neue Steigerungsstufe erreicht. Während nach dem 7. Oktober nahezu alle Jüdischen Museen eine Stellungnahme zum Massaker der Hamas über ihre Kanäle veröffentlicht hatten und die Solidarität mit der israelischen Bevölkerung und den Geiseln auf breiten gesellschaftlichen Rückhalt gestoßen war, ist dieser nun an vielen Stellen gebrochen. Jüdische Museen, die sich zuvor in einer Vermittlerrolle zwischen jüdischer Bevölkerung und nichtjüdischer Mehrheitsgesellschaft gesehen haben, sind heute mit tiefen Gräben konfrontiert, über die hinweg sich nicht vermitteln lässt. Die Debatte über Israel nach dem Terrorangriff der Hamas und dem Kriegsbeginn ist nicht nur verhärtet, es wird schon länger gar nicht mehr gesprochen. Schlagwörter haben Argumente ersetzt und dienen nur mehr dazu, eine Person dem einen oder anderen Lager zuzuteilen: pro Israel oder pro Palästina, als gäbe es keine Zwischentöne oder Gleichzeitigkeiten. Zionismus wird als austauschbares Kolonialprojekt gesehen, dessen historische Besonderheiten marginalisiert oder verleugnet werden. Er wird ausschließlich mit jüdisch gleichgesetzt und dabei die weltpolitische Rolle des US-evangelikalen Zionismus ausgeblendet. Wer sich andererseits für einen freien palästinensischen Staat einsetzt, macht sich in manchen Diskussionen schon fast des Antisemitismus verdächtig. Wechselseitig werden Forderungen nach Ausladungen von Wissenschaftler:innen oder Künstler:innen erhoben. Jüdische Museen, obwohl mehrheitlich kommunal finanziert, stehen für die einen im Generalverdacht, Sprachrohre der jüdischen Gemeinde oder des Staates Israel zu sein, oder unterwandern für die anderen durch Einladung von kritischen Stimmen ein notwendiges geschlossenes Auftreten im Sinne israelischer Regierungspolitik.

In diesem Kulturkampf, dessen Ende nicht absehbar ist und der auch nicht durch einen Waffenstillstand oder die Befreiung von Geiseln beendet werden wird, befinden sich Jüdische Museen zwischen den Stühlen – insbesondere diejenigen, die eine jüdische Gemeinde vor Ort haben. Egal kann das Jüdischen Museen nicht sein, sind die jüdischen Gemeinden ja nicht nur in den Kontrollgremien der Museen repräsentiert, sondern stellen auch wichtige Stakeholder für die Museen dar. Was also tun – und was nicht?

Der heftige Protest der IKG Wien gegen den Auftritt des israelisch-deutschen Philosophen Omri Boehm anlässlich der „Rede an Europa“ im Rahmen der Wiener Festwochen am Judenplatz im Mai 2024 hat mich diesbezüglich viel gelehrt: Die Einladung war über die Wiener Festwochen erfolgt. Da sich ein Standort des Jüdischen Museums ebenfalls am Judenplatz befindet, war bereits 2019 eine Kooperation für diese jährlich stattfindende Veranstaltung erfolgt, welche das Logo des Museums in der Online-Bewerbung zeigte – auch wenn das Museum gar nicht in die Auswahl bzw. den Einladungsprozess eingebunden war. Die darauffolgenden Proteste der IKG Wien gegen diese Einladung – Omri Boehm, so wurde ihm vorgeworfen, würde den Staat Israel dämonisieren und damit antisemitische Propaganda betreiben, noch dazu am historisch so aufgeladenen Judenplatz – fielen heftig aus und richteten sich sowohl gegen den Intendanten der Festwochen Milo Rau als auch gegen das Jüdische Museum Wien, das angeblich den Judenplatz als Veranstaltungsort vorgeschlagen hatte. Letztendlich habe ich das Logo des Museums von der Einladung entfernen lassen – die Rede fand freilich trotzdem statt – und hatte es nun mit der Kritik der Gegenseite zu tun, das wäre feig und politisch unentschlossen. Was die Entscheidung tatsächlich beeinflusste, war die Einsicht, dass es, wenn ein Miteinander-Sprechen nicht mehr möglich ist, manchmal das Beste ist, sich aus einem Konflikt zurückzuziehen und damit die Möglichkeit des Sprechens in der Zukunft offen zu halten. Vor harscher Kritik schützt dies allerdings in einer Situation, in der es nur zwei Seiten zu geben scheint, nicht. 

Das Jüdische Museum Wien steht dennoch für die Überzeugung, trotzdem sprechen zu müssen, zuzuhören und auch andere Meinungen auszuhalten; aber auch für eine Feinfühligkeit, die von unnötigen Provokationen absieht und auf Diskussion statt Streit abzielt, die Türen also aufmacht anstatt sie vor anderen zuzuschlagen. Um dies auch wirklich einzulösen, braucht es allerdings minimale Konsensfähigkeit, die im Moment nur schwer zu finden ist. Wie andere Jüdische Museen auch, setzt das Jüdische Museum Wien auf Veranstaltungsformate, die möglichst viele ansprechen und Diskussionen ermöglichen. Schnelle Formate wie Interventionen oder Kleinstausstellungen können und sollen zudem auch auf einer sinnlichen Ebene erfahrbar machen, worum es im Grunde geht: um den Erhalt unseres gesellschaftlichen Miteinanders. Denn der Kulturkampf, der natürlich nicht nur an Jüdischen Museen, sondern an praktisch allen Kunst-, Kultur- und Wissensorganisationen geführt wird, nützt letztendlich den Rechtspopulisten, deren Ziel es ist, unsere liberale, wertebasierte Gesprächskultur ebenso abzuschaffen wie die Demokratie. 

Inmitten des großen Schweigens und des gesellschaftlichen Zerwürfnisses trotzdem zu sprechen, braucht Mut. Und es ist die Aufgabe jeder Kulturinstitution und hier ganz besonders der Jüdischen Museen, diesen Mut auch aufzubringen. Dieses Jahr zeigt das Jüdische Museum Wien eine Intervention mit dem Titel Kein Platz für Diskussion?, in der wir uns ab Mitte Mai 2025 genau mit diesem Thema befassen und hoffentlich in vielen Diskussionen auseinandersetzen. 

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