Ausstellungsansicht „FLOWER POWER“, 24. Mai 2025 bis 15. Februar 2026, Landesgalerie Niederösterreich, Krems, Foto: Kunstmeile Krems, Foto: Christian Redtenbacher
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FLOWER POWER. Eine Kulturgeschichte der Pflanzen

Würden die Pflanzen morgen von der Erde verschwinden, wäre in wenigen Wochen, allerhöchstens Monaten, alles menschliche Leben erloschen, und in kürzester Zeit gäbe es keine höher entwickelten tierischen Lebensformen mehr auf unserem Planeten. Würde dagegen der Mensch von der Erde verschwinden, hätten die Pflanzen in nur wenigen Jahren alles zurückerobert, was wir ihnen entrissen haben, und sämtliche Spuren menschlicher Zivilisation wären in kaum hundert Jahren überwuchert. Das sollte eigentlich genügen, um das biologische Kräfteverhältnis zwischen Pflanze und Mensch zurechtzurücken.
Stefano Mancuso, Biologe, Universität Florenz, Italien
 
Ausstellungen zur Natur haben in den letzten Jahren Hochkonjunktur – doch kaum ein Thema ist dabei so grundlegend, vielschichtig und kulturprägend wie das der Pflanzen. FLOWER POWER. Eine Kulturgeschichte der Pflanzen geht weit über eine ästhetische Würdigung floraler Motive hinaus. Die Ausstellung in der Landesgalerie Niederösterreich in Krems verfolgt einen interdisziplinären Ansatz, der bildende Kunst und Naturwissenschaft in einen ebenso dialogischen wie erkenntnisreichen Zusammenhang bringt. Die Schau eröffnet neue Perspektiven auf unsere Beziehung zur Pflanzenwelt – in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
 
Kuratiert von der Kunsthistorikerin Gerda Ridler und dem Botaniker Martin Pfosser rückt die Ausstellung nicht die Kunstschaffenden, sondern die Pflanzen selbst ins Zentrum. Sie erzählt die faszinierenden Geschichten von 18 ausgewählten Nutz-, Zier- und Heilpflanzen – von A wie Algen bis W wie Wein – und beleuchtet ihre symbolischen Bedeutungen, ihre wirtschaftliche und politische Wirkmacht sowie ihre kulturelle Präsenz in Kunst und Alltagsleben. Die Pflanze wird zur Protagonistin – als Lebensgrundlage, Mythos, Handelsgut oder Trägerin tief verankerter kultureller Vorstellungen.
 
Diese umfassende Perspektive wird durch die Vielgestaltigkeit der über 400 präsentierten Objekte greifbar, die von rund 70 Leihgeber:innen stammen: Werke aus Kunst und Kulturgeschichte treten mit Exponaten der Naturwissenschaft, die zum Teil erstmals in diesem Umfang präsentiert werden, in einen faszinierenden und oft überraschenden Dialog. Aufwendig gefertigte Blütenmodelle aus dem 19. Jahrhundert stehen eindrücklichen Beispielen barocker Stilllebenmalerei gegenüber. Pflanzenexemplare, die während der Weltumseglung der Fregatte SMS Novara (1857–1859) gesammelt wurden, treten in einen spannungsvollen Austausch mit zeitgenössischen Fotografien. Hundert Jahre alte, in Alkohol konservierte Pflanzenteile korrespondieren mit religiösen und mythologischen Bildwelten, während kostbare Pflanzenbücher und prachtvolle Naturselbstdrucke botanisches Wissen mit künstlerischer Formensprache verbinden. Gotische Skulpturen, biedermeierliche Gemälde, Preziosen aus Porzellan, Objekte aus Alltag und Popkultur sowie raumgreifende und interaktive Installationen der Gegenwart eröffnen neue Perspektiven auf die tief verwobenen Beziehungen zwischen Mensch und Pflanze. Es ist ein seltener Glücksfall, wenn wissenschaftliche Erkenntnisse und künstlerische Zugänge so produktiv ineinandergreifen.
 

Interdisziplinarität als Impulsgeber

Die Ausstellung wurde bewusst als genreübergreifendes Projekt konzipiert, denn die Interdisziplinarität ermöglicht es, unterschiedliche Formen des Wissens produktiv und sinnlich miteinander zu verknüpfen: Die analytische Präzision der Wissenschaft trifft auf die assoziative Kraft der Kunst. In diesem vielstimmigen Panorama entstehen neue Denk- und Wahrnehmungsräume, die weit über die Einzeldisziplinen hinausreichen. Die Ausstellung spricht daher auch ein breites, heterogenes Publikum an – von kunstinteressierten Besucher:innen bis hin zu naturwissenschaftlich Begeisterten. In einer Zeit, in der komplexe Themen nur durch vernetztes Denken adäquat erfasst werden können, setzt die Ausstellung ein starkes Zeichen für die Relevanz interdisziplinärer Zusammenarbeit. Und Pflanzen – als existenzielle Grundlage allen Lebens – sind ein Thema, das wie kaum ein anderes dazu geeignet ist, künstlerische und wissenschaftliche Perspektiven miteinander in Dialog zu bringen. Auf diese Weise entsteht ein Spannungsfeld, das sowohl emotional berührt als auch intellektuell anregt.
 

Von Alge bis Wein

Aus der Überfülle der Natur haben wir 18 Pflanzen ausgewählt, deren jede eine wechselvolle schöpferische wie mitunter dramatische Geschichte erzählt. Die Spannweite reicht von der winzigen Alge, die als Sauerstofflieferantin der Meere unser Klima mitreguliert und längst auch in Kosmetik und Lebensmitteln angekommen ist, bis zum Wein, jenem mythischen Trank, der seit der Antike für Genuss, Kultur und Rausch steht. Der Apfel gilt als Frucht der Erkenntnis und der Versuchung – ob im Paradies oder in der Wissenschaft. Die Banane, tropisch und nährstoffreich, erzählt von globalen Handelsketten, während Baumwolle als allgegenwärtige Textilfaser auch die Schattenseiten kolonialer Geschichte offenbart. Getreide bildet das Fundament der menschlichen Zivilisation – ohne Korn keine Hochkultur. Gewürze wie Pfeffer, Zimt und Muskat wurden einst mit Gold aufgewogen und trugen zur Entwicklung des globalen Handels bei. Giftpflanzen wie Tollkirsche oder Eisenhut zeigen die doppelte Natur pflanzlicher Kräfte – sie können töten, aber auch heilen. Kaffee, einst Luxus, heute Alltagsritual, verbindet Menschen über Kontinente hinweg. Die Kaiserkrone mit ihren opulenten Blüten steht für Macht und Pracht, während die Kartoffel, ursprünglich aus Südamerika, die Ernährung in Europa revolutionierte und zum Überlebensmittel wurde.
 
Die Lilie, tief verwurzelt in religiöser Bildsprache, symbolisiert Reinheit und Unschuld. Der Mohn birgt Kontraste: Er steht für Schlaf und Rausch, aber auch für Schönheit und Schmerz – genau wie die Rose, die Königin der Blumen; sie verkörpert Liebe und Vergänglichkeit zugleich. Die Sonnenblume strahlt Optimismus aus und liefert wertvolles Öl. Tabak, ursprünglich rituell verehrt, wandelte sich zum globalen Symbol für Genuss und Abhängigkeit. Die Tomate, eine Frucht der Neuen Welt, revolutionierte die europäische Küche nachhaltig. Und die Tulpe, einst Auslöserin der ersten Spekulationsblase im 17. Jahrhundert, erinnert daran, wie vergänglich Luxus sein kann.
 

Nachhaltigkeit als kulturhistorische wie ethische Dimension

Die Ausstellung legt besonderen Wert auf Nachhaltigkeit als kulturhistorische wie ethische Dimension: Pflanzen ernähren uns, kleiden uns, heilen uns und ermöglichen durch die Produktion von Sauerstoff das Leben auf der Erde – zugleich sind sie Teil globaler Machtstrukturen. Die Auseinandersetzung mit Pflanzen bedeutet daher immer auch eine Auseinandersetzung mit der Verantwortung des Menschen im ökologischen Gefüge. Die kritische Reflexion beginnt bei scheinbar harmlosen Symbolen – etwa dem Apfel als Sinnbild der Verführung – und reicht bis zu Pflanzen wie Baumwolle oder Kaffee, deren Erfolgsgeschichte untrennbar mit Kolonialismus, Ausbeutung und Umweltzerstörung verbunden ist.
 

Inspirierendes und erkenntnisreiches Ausstellungserlebnis

Die Ausstellung FLOWER POWER macht auf anschauliche Weise erfahrbar, wie tief Pflanzen in unsere kulturellen Vorstellungen, Rituale und Werte eingebettet sind – von religiöser Ikonografie bis zu wirtschaftshistorischen Zäsuren. Gleichzeitig fordert die Ausstellung dazu auf, die Pflanzenwelt als aktiven Mitgestalter menschlicher Geschichte und nicht nur als passiven Hintergrund zu begreifen. Denn in einer Zeit, in der Klimawandel, Artensterben und Ressourcenverbrauch zentrale Herausforderungen der Menschheit darstellen, kann eine Ausstellung wie diese auch ein Bewusstsein dafür schärfen, dass unsere Zukunft nur in einem respektvollen Miteinander mit der Natur bestehen kann. Die Ausstellung und das begleitende Katalogbuch können daher auch als Einladung verstanden werden, der Pflanzenwelt mit neuer Aufmerksamkeit und Wertschätzung zu begegnen. Denn ohne Pflanzen gäbe es weder ein Gestern noch ein Heute – und erst recht kein Morgen. 
Anmerkung
 


Credits und Zusatzinfos: 

Anmerkung
 
Katalog zur Ausstellung: Gerda Ridler, Martin Pfosser (Hg.): Flower Power. Eine Kulturgeschichte der Pflanzen, Müry Salzmann Verlag 2025.
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