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Die Vision eines solidarischen Museums als Schlüssel zur demokratischen Praxis
Von: Sarah Maupeu ( Coach und Beraterin, Coaching mit Kunst), Christiane Wanken (Coach und Beraterin, kulturtransformieren), Berlin/Essen

In Zeiten, in denen gesellschaftliche Bruchlinien und Lagerbildungen zunehmen, ist Solidarität ein radikaler und widerständiger Akt. Unser Konzept des „solidarischen Museums“ versteht das Museum als einen Raum, der gesellschaftlichen Zusammenhalt aktiv mitgestaltet und Verbundenheit sowie Unterstützung ins Zentrum rückt – sowohl innerhalb der Institution als auch in ihrer Wirkung nach außen. Mit dieser Vision möchten wir Anregungen geben, wie Museen den Weg zu gelebter Solidarität beschreiten können und warum das ein Schlüssel zur demokratischen Praxis sein kann.

Uns ist bewusst, dass Solidarität ein vielschichtiges Konzept ist, das von empathischer Verbundenheit und gegenseitiger Unterstützung über kollektives Handeln und politische Verantwortung bis hin zu struktureller Veränderung reicht. Es umfasst somit sowohl die individuelle als auch die institutionelle Ebene. Unsere Idee des solidarischen Museums ist deshalb nicht als abschließende Definition gedacht, sondern als dynamischer Prozess und als offene Einladung, gemeinsam einen Weg zu einer solidarischen Museumsarbeit zu erträumen, theoretisch zu denken und praktisch zu gestalten.

Eine Sache steht jedoch fest: Ein solidarisches Museum verpflichtet sich, demokratische Prinzipien nicht nur theoretisch zu formulieren, sondern aktiv im Alltag zu praktizieren. Dies umfasst sowohl die institutionelle Selbstreflexion und die Gestaltung der internen Arbeitskultur als auch die Art und Weise, wie Museen mit ihren Besucher:innen und gesellschaftlichen Akteur:innen in Dialog treten. Solidarität darf keine bloße Geste bleiben – eine aktiv gelebte Praxis zeigt sich daran, wie die eigene Position und Haltung sowie die eigenen Privilegien immer wieder reflektiert werden, wie Entscheidungsprozesse verhandelt und wie Macht kritisch hinterfragt und geteilt wird.
 

Museen sind nicht neutral!

Ein erster Schritt auf dem Weg zum solidarischen Museum ist es, die Illusion eines „neutralen“ Museums aufzugeben. Das bedeutet nicht, sich parteipolitisch zu positionieren, sondern die gesellschaftliche Verantwortung und den demokratischen Auftrag anzuerkennen und zu übernehmen. Dazu gehört, sich der eigenen Werte bewusst zu werden und sichtbar danach zu handeln; sich zu demokratischen Prinzipien zu bekennen und gewaltvollen Gedanken, Worten und Taten keinen Raum zu geben. Ebenso gehört es dazu, Grenzen zu setzen, Schutz zu bieten und Räume für echten, berührenden Austausch zu öffnen.
 

Machtreflexion und Machtkritik 

Ein zweites wichtiges Element ist die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Macht. Ein solidarisches Museum ist bereit, Machtverhältnisse sichtbar zu machen, zu hinterfragen und Macht abzugeben – etwa indem es neue Formen der Zusammenarbeit ausprobiert. Auch die Reflexion der eigenen Privilegien ist Teil dieses Prozesses, um bestehende Ungleichheiten und Machtmissbrauch bewusster wahrzunehmen.

Das kann bedeuten, sich zu fragen: Welche Macht habe ich als Mitarbeiter:in? Welche Macht hat das Museum als Institution? Wer trifft bei uns Entscheidungen – und wer wird bisher kaum einbezogen? Oder: Wie kommen Themen und Perspektiven in unser Haus, die sonst wenig oder keinen Raum bekommen? Solche Fragen laden dazu ein, genauer hinzuschauen – nicht mit Scham, sondern mit Neugier und Offenheit.

Voraussetzung für ein machtkritisches, solidarisches Museum ist zunächst eine Arbeitskultur, in der Führungskräfte selbstkritisch handeln, Rückfragen einladen und Macht nicht länger tabuisiert, sondern transparent gemacht wird: Welche Versuchungen der Macht gibt es? Wie können wir dem entgegenwirken? Und wie kann Führung im Museum mutig und verbunden gestaltet werden?
 

Lebensdienliche Museumsarbeit

Solidarität nach innen wirkt sich unmittelbar auf die Mitarbeitenden aus: Die Institution etabliert eine Arbeitskultur, die von Wertschätzung, psychologischer Sicherheit und Fürsorge geprägt ist. Gerade in der Kulturlandschaft sind prekäre Arbeitsverhältnisse, strukturelle Überlastung und emotionale Erschöpfung weit verbreitet. Wie lassen sich faire Arbeitsbedingungen schaffen? Welche Strukturen braucht es, um Belastungen gerecht zu verteilen?

Solidarität im Museum zeigt sich dort, wo Care-Arbeit sichtbar gemacht, anerkannt und unterstützt wird. Das gilt für die Beziehung zum Publikum ebenso wie für den respektvollen und fürsorglichen Umgang mit Mitarbeitenden. Dazu gehört es, Sorgearbeit im beruflichen Kontext – wie emotionale Unterstützung, kollegiale Hilfe oder unbezahlte Organisationsaufgaben – ebenso wertzuschätzen wie die Care-Arbeit, die Menschen in ihrem privaten Umfeld leisten. Mentale und psychische Gesundheit werden nicht als rein private oder individuelle Angelegenheit verstanden, sondern als gemeinsame Verantwortung und als Grundlage für eine gerechte und regenerative Arbeitskultur.
Ein solidarisches Museum fragt, wie es als sozialer Raum wirken kann – nicht nur als Ort der demokratischen und kulturellen Bildung, sondern auch als ein Ort der Verbindung und des Heilens. Es dient aus unserer Sicht dem Leben als Ganzes: den Menschen, aber auch der Umwelt. Angesichts der spürbaren Folgen der Klimakrise stellt sich die Frage, wie wir gemeinsam ressourcenschonend handeln und regenerative Prozesse entwickeln können. So entsteht eine Solidarität, die Mensch und Natur miteinander verbindet und schützt.
 

Strukturelle Veränderungen

Solidarität innerhalb des Museums spiegelt sich auch in Strukturen und Prozessen wider, die gemeinsame Verantwortung, Teilhabe und gegenseitige Unterstützung fördern. Museen sind oft mit Erfahrungen von Ausschluss und Distinktion verbunden – sei es durch Klassismus, Rassismus, Sexismus, Ableismus etc. Dadurch sind sie nicht gleichermaßen für alle zugänglich. Historische Ausschlüsse marginalisieren Perspektiven – viele Besucher:innen fühlen sich weder repräsentiert noch willkommen. Wie können wir unsere Ressourcen und Handlungsspielräume so nutzen, dass mehr Menschen von ihnen profitieren – besonders jene, die bisher wenig Zugang hatten?

Das Museum als Ort der Solidarität bedeutet, Strukturen zu schaffen, die Barrieren abbauen: durch partizipative Formate, neue Narrative und eine Praxis, die aktiv Care-Arbeit leistet und zu kollektiver Heilung beiträgt. Das kann sich in der Schaffung von sicheren Räumen für marginalisierte Gruppen zeigen, in einer bewussten Auseinandersetzung mit historischen und aktuellen Gewalterfahrungen und ihren Folgen oder in der Gestaltung des Museums als Begegnungsort für gesellschaftlichen Dialog.
 

Zuhören als Grundlage solidarischer Praxis

Zuhören ist für uns eines der zentralen Elemente solidarischer Museumsarbeit. Das geht weit über das bloße Hören verschiedener Stimmen hinaus. Es bedeutet, sich bewusst für unterschiedliche Perspektiven zu öffnen – sowohl innerhalb der Institution als auch gegenüber Besucher:innen und Gemeinschaften – und die Bereitschaft, sich selbst durch das Gehörte berühren und transformieren zu lassen.

Durch diesen inklusiven Prozess entwickelt sich die museumspädagogische und kuratorische Praxis von einer monologischen Vermittlung hin zu einem dialogischen, partizipativen und transformativen Austausch. Zuhören erfordert eine kritische Selbstreflexion eigener Denk- und Handlungsmuster sowie die Bereitschaft, die eigene institutionelle Position und Machtverhältnisse immer wieder zu hinterfragen: Auf welcher Ebene höre ich (als Institution) normalerweise zu – sachlich oder auch emotional? Wie kann die Institution Bedingungen schaffen, damit empathisches oder generatives Zuhören möglich wird – im Team, mit Besucher:innen, mit Kooperationspartner:innen?
 

Haltung und ko-kreativer Schöpfungsprozess statt fertiger Konzepte

Die Vision eines solidarischen Museums als gelebte demokratische Praxis ist kein fest umrissenes Ziel, sondern ein Prozess. Sie entsteht nicht durch fertige Konzepte, sondern durch das ständige Bemühen, offen, aufmerksam und verbunden mit der Gesellschaft zu bleiben. Das solidarische Museum ist somit ein Weg, der durch kontinuierliches Lernen, gemeinsames Nachdenken und mutiges Ausprobieren geprägt ist. Es geht darum, offen zu bleiben für neue Perspektiven, bestehende Routinen zu hinterfragen und gemeinsam Strukturen zu entwickeln, die Beteiligung wirklich ermöglichen.
 
Um eine solidarische Haltung zu entwickeln, können wir damit beginnen, uns Fragen zu stellen:

  • Wie erleben wir Solidarität im Alltag unserer Zusammenarbeit?
  • Wo gelingt Solidarität gut, wo gibt es Herausforderungen?
  • Wie zeigen sich gemeinsame Verantwortung und Teilhabe in unseren Strukturen?
  • Welche Schritte können wir gemeinsam gehen, um Solidarität als gelebte Praxis zu stärken?
 
Diese Entwicklung braucht Zeit, Geduld und eine klare innere Haltung: das Museum als einen Ort zu verstehen, der gesellschaftliche Verantwortung übernimmt, solidarisch handelt und demokratische Werte nicht nur vermittelt, sondern auch im eigenen Tun lebendig werden lässt.

Credits und Zusatzinfos: 
Empfohlene Zitierweise
Sarah Maupeu, Christiane Wanken: Die Vision eines solidarischen Museums als Schlüssel zur demokratischen Praxis, in: neues museum 25/4, www.doi.org/10.58865/13.14/254/3
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