
Einer der ersten Sammlungszugänge (2022) in der neuen Software Collection des TMW –
Die Gründung einer Software Collection am Technischen Museum Wien
Von:
Peter Aufreiter (Generaldirektor, Technisches Museum Wien), Martina Griesser-Stermscheg (Abteilungsleiterin des Foschungsinstituts, Technisches Museum Wien), Nika Maltar, (Digitales Forschungs- und Sammlungsmanagement, Technisches Museum Wien), Almut Schilling (aBITpreservation), Wien
Das Technische Museum Wien (TMW) zählt zu den größten und ältesten Technikmuseen Europas. Die Sammeltätigkeit beschränkte sich bisher auf das Sammeln materieller Kultur. 2021 wurde nach längerer Vorbereitung ein neuer Forschungs- und Sammlungsschwerpunkt am TMW etabliert und im TMW-Forschungsinstitut verankert – die Software Collection. Damit konnte das Abenteuer beginnen: Denn die spezifischen Eigenschaften von Software erfordern im musealen Umfeld völlig neue und experimentelle Strategien für das Sammeln, Erhalten und Vermitteln.
Was sammeln und wie? (2022)
Die Erarbeitung einer Sammlungs- und Erhaltungsstrategie für die neue Software Collection beinhaltete im ersten Schritt eine (inter)national abgestimmte Umfeldanalyse (2022). Daraus ergab sich ein erster Handlungsrahmen: Die Software Collection soll einerseits aus Software zu bereits in der TMW-Sammlung befindlichen Hardware bestehen, andererseits aus Born Digitals. Als Born Digital bezeichnen wir genuin digitales Material, das ausschließlich in digitaler Form erstellt und verwaltet wird (UNESCO Charter on the Preservation of the Digital Heritage 2003).
Für das TMW als österreichisches Bundesmuseum liegt der Schwerpunkt auf in Österreich entwickelten und/oder genutzten Software-Technologien. Die Nutzer:innenerfahrung sollte immer kontextualisierend mitgesammelt werden, falls die rechtlichen Einschränkungen (Datenschutz, Lizenzen) dies erlauben. Technologisch soll sich die Software Collection des TMW durch experimentelles, innovatives und interaktives Design auszeichnen. Inhaltlich erhebt sie einen kritischen Anspruch auf gesellschaftspolitisch relevante Themen in Österreich, insbesondere auf Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit. Der Sammlungs- und Wissenszuwachs kann nur partizipativ und durch die Mitgestaltung einschlägiger Communities erfolgen.
Grundsätzlich darf am TMW nur gesammelt werden, was auch erhalten werden kann. Die Sammlungs- und Erhaltungsstrategie ist also maßgeblich von den technischen Möglichkeiten der Erhaltung abhängig. Der stetige Erkenntniszuwachs durch die eigene und die internationale Erforschung bedingt daher auch eine laufende Aktualisierung der Sammlungsstrategie, da sich hier Sammlungstheorie, Forschungsstand und Museumspraxis besonders eng die Hand reichen.
Im Gegensatz zu physischen Objekten kann Software nur durch den Einsatz spezifischer Hard- und Software erhalten und verständlich gemacht werden, unabhängig davon, ob es sich um historische oder zeitgenössische Hard- oder Software handelt. Um Born Digitals lesen oder betreiben zu können, benötigt man bestimmte Applikationen, Betriebssysteme, Drivers, Data Libraries, Hardware usw. Daher müssen diese Software- und Hardware-Abhängigkeiten auch miterhalten werden. Da sich die entsprechenden Technologien rasant weiterentwickeln, ist die Frage nicht, ob sie irgendwann obsolet werden, sondern nur wann. Für technische Systeme, die in diesem ganzheitlichen Ansatz bereits heute als verloren gelten, müssen wir alternative Umsetzungen erforschen. Für den Anfang werden im TMW vier etablierte Erhaltungsmethoden installiert und an ausgewählten Fallbeispielen erprobt: Migration in gängige stabile und nachhaltige Formate, Emulation von obsoleten Technologien sowie Virtualisierung und Containerisierung.
Die Weiterentwicklung ermöglichen zwei Forschungsprojekte (2023/24), in denen wir uns Schritt für Schritt mit unseren Partner:innen voran arbeiten. Die Ergebnisse fließen in die Sammlungs- und Erhaltungsstrategie der Software Collection am TMW ein.
Die Panzerknacker. Digitale Infrastrukturen im Alltag (2023)
Projektziele sind die Entwicklung eines transdisziplinären Methodenpakets, das uns ermöglicht zeitgenössische Nutzer:innenerfahrungen zu sammeln und gleichzeitig neue technische Methoden zu evaluieren, um (historische) Software zugunsten der Lesbarkeit funktionsfähig zu erhalten. Den Impuls lieferte der Fördercall Roadmaps Digitaler Humanismus 2022 des WWTF (Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds), mittlerweile Projekt-Fördergeber. Der (Wiener) Digitale Humanismus rückt die menschenzentrierte Nutzung und Bewertung in den Vordergrund.
Im Mittelpunkt des Forschungsprojekts steht die Frage: Wie können Museen in Zeiten des digitalen Wandels die Grundlage für ein zukünftiges Verständnis der Auswirkungen von digitalen Technologien auf den Alltag und die Gesellschaft schaffen? Ausgehend von zwei Sammlungsobjekten des TMW – einem Bankomaten (TMW Inv.-Nr. 100643) und einem Tischgerät für bargeldlosen Zahlungsverkehr (TMW Inv.-Nr. 100158) – untersuchen wir exemplarisch den Umgang mit digitalen Infrastrukturen, deren alltägliche Nutzung und wie sehr wir ihnen vertrauen (müssen). So wird das Projektteam zu den titelgebenden „Panzerknackern“. Wir versuchen den komplexen „Code“ zwischen alltäglichen digitalen Technologien und deren Auswirkungen auf unser Leben zu dechiffrieren und zu knacken.
Spielend sammeln. Das SoftwareLAB am Technischen Museum Wien (2023/24)
Ziel des Projekts ist die exemplarische Erprobung langfristiger Erhaltungsmöglichkeiten von experimentellen Videospielen mit Österreich-Bezug. Das Besucher:innenprofil des TMW (mehr als 50 Prozent der Besucher:innen sind unter 19 Jahre) prägt diesen Forschungsansatz, der das spielerische Lernen und Vermitteln von Anfang an integriert. Spiele gehören immer noch zu den beliebtesten Instrumenten, um junge Menschen für Beteiligungsprozesse zu begeistern. Im Rahmen des Projekts wird das sogenannte softwareLAB am TMW gegründet und mit der technischen Infrastruktur (Workstation für Forensik, elektronische Restaurierung, Emulation und Performance-Dokumentation) ausgestattet.
Den partizipativen Anspruch, in dem das TMW versucht seine angestammte Deutungshoheit bewusst an die lokale Gamer:innen-Szene abzugeben und zu wesentlichen Akteur:innen in der institutionellen Wissensproduktion machen will, gewährleisten die Projektpartnerschaften: Dabei sind Jogi Neufeld, Leiter der Plattform für digitale Spielkultur SUBOTRON, und Margarete Jahrmann, österreichische Pionierin der Game Art und Leiterin der Studienrichtung Experimental Game Cultures an der Universität für angewandte Kunst Wien. Technisch-konservatorische Verstärkung erhält das TMW von Dragan Espenschied, Preservation Director der Rhizome Art Basel (New York), durch das Wiener Studio für aBITpreservation of electronic and digital art und bei neuen Emulationslösungen durch Open SLX (Freiburg).
Gefördert und tatkräftig unterstützt wird das Projekt von der Wirtschaftsagentur Wien im Rahmen des Förderwettbewerbs Culture & Technology – Fokus Museen. Projektziel ist auch die Vernetzung mit Museen und außerinstitutionellen Netzwerken, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen, sowie die Identifikation von möglichen Synergien für IT-Lösungen, Hard- und Software, aber vor allem für den Austausch von Expertise, Erfahrungswissen und Begeisterung. Weitere Mitstreiter:innen sind willkommen!
Permanent Link: www.doi.org/10.58865/13.14/233/1
Permanent Link: www.doi.org/10.58865/13.14/233/1
Credits und Zusatzinfos:
Einer der ersten Sammlungszugänge (2022) in der neuen Software Collection des TMW: Scenes from AAA ThP: ARG ALT Artivism Thunder Play – CIVA 2021 and Pink Noise, Margarete Jahrmann, Thomas Wagensommerer, Louise Linsenbolz, Georg Luif, Stefan Glasauer, 2021, AAA Thunder Play – Donnerbrunnengame, Neuromatic Game Art. EEG Multiplayergame. Download http://neuromatic.uni-ak.ac.at