Blick aus der Luft auf den Palast der Republik, das Marx-Engels-Forum und den Fernsehturm, Foto: bpk / Interflug-Luftbildarchiv
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„Der Palast der Republik ist Gegenwart“. Ein Programmschwerpunkt im Humboldt Forum

Deutschland hat in seiner jüngeren Geschichte eindrücklich vorgelebt, wie Diktaturen und Demokratien wirken. Auch 35 Jahre nach dem „Mauerfall“ sind die Diskussionen lebhaft, welche Rolle diese Erfahrungen für uns heute spielen. Das Humboldt Forum im Zentrum der bundesdeutschen Hauptstadt ist ein hochsymbolischer Ort, um sich diesen Fragen zu widmen. Denn hier ist die Aushandlung von Macht seit über fünfhundert Jahren virulent.
 

Wie können wir Museumsarbeit demokratisch gestalten?

Öffentliche Museen, die in ihrer eigenen Praxis Gewaltenteilung, Vielfalt, Transparenz, friedliche Konfliktbewältigung und gemeinsame Lernprozesse gestalten wollen, haben sich viel vorgenommen. Häufig sind Kulturinstitutionen „top-down“ organisiert, versammeln geballte Expertisen und wirken hochschwellig gegenüber vielen gesellschaftlichen Bubbles. Um den Programmschwerpunkt Der Palast der Republik ist Gegenwart zu entwickeln, fragten daher sowohl die Kuratorin Judith Prokasky als auch die Organisationsentwicklerin Irene Knava: Welche Geschichten werden erzählt? Welche Perspektiven werden sichtbar? Wie können die Sichtweisen potenzieller Besucher:innen in die kuratorischen Prozesse eingebunden werden? Wie kann die Anbindung an die globalen Fragen, die uns im Humboldt Forum bewegen, auch bei dem scheinbar „kartoffeldeutschen“ Thema „Palast der Republik“ umgesetzt werden? Wir hielten als Ziele fest, mit unserer Arbeit Vielstimmigkeit sowohl zu thematisieren als auch selbst zu gestalten. Wir setzten uns damit in eine alte Tradition, denn auf dem südlichen Teil der Spreeinsel wird seit Jahrhunderten Herrschaft zur Schau gestellt, ausgeübt, herausgefordert, verhandelt und umkämpft – ob im Mittelalter, den Revolutionen 1848 und 1918 oder nach dem Zweiten Weltkrieg.
 

Der Palast der Republik als repräsentatives „Haus des Volkes“

Die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik ließ von 1973 bis 1976 an der Stelle, wo heute das Humboldt Forum steht, den Palast der Republik errichten. Berlin war damals geteilt: Der Ostteil fungierte als „Hauptstadt der DDR“, während der westliche Teil zur Bundesrepublik Deutschland gehörte. Mit ihrem Neubau vereinnahmte die DDR-Regierung einen Ort mit symbolischer Bedeutung: Hier hatte bis zu seinem Abriss 1950 das Berliner Schloss gestanden, einst Sitz der brandenburgischen Kurfürsten, preußischen Könige und deutschen Kaiser. Der Palast reklamierte nun, für das Volk da zu sein: Er war täglich kostenfrei bis Mitternacht geöffnet, beherbergte zahlreiche Restaurants und Cafés, einen Veranstaltungssaal für bis zu fünftausend Gäste, ein Theater, eine Kunstgalerie, eine Bowlingbahn, einen Jugendtreff und den Sitz der Volkskammer – das „Parlament“ der DDR. Zugleich reglementierte und observierte die Staatssicherheit Abläufe; auch der Zugang zu Veranstaltungen wurde politisch gesteuert. Im Zuge der „friedlichen Revolution“ erlebte der Palast ein neues Kapitel der deutschen Demokratiegeschichte: Hier entschied ebenjene Volkskammer, die nach dem „Mauerfall“ erstmals frei gewählt wurde, 1990 den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland, die sogenannte Wiedervereinigung. Kurz darauf schloss der Berliner Magistrat den Palast wegen gesundheitsgefährdender Asbestverseuchung.
 

Das Humboldt Forum zwischen Symbolpolitik und Kritik 

2002 entschied der Deutsche Bundestag, dass der bereits entkernte Palast abgerissen und an seiner Stelle das Humboldt Forum als Rekonstruktion des Berliner Schlosses errichtet und als kulturelle Institution genutzt werden solle. Vor seinem finalen Abriss erlebte der Palast 2004/2005 als „Volkspalast“ eine kurze, legendäre Blüte mit zeitgenössischer Kunst, Tanz und Performances. 2013 legte der Bund den Grundstein für den Bau des Humboldt Forums, das bis 2022 vollständig eröffnet wurde. Seine äußere Anmutung als Schloss, bekrönt von einer Kuppel mit Kreuz, die Finanzierung auch durch „rechte Spender“ sowie die Ausstellung von Sammlungsbeständen aus gewaltvollen Kontexten deutscher Kolonialgeschichte wurden und werden ebenso kontrovers diskutiert wie seine Situation als Nachfolgebau des Palasts der Republik. Als Symbol für Herrschaft, Gewalt und reklamierte Deutungshoheit provoziert dieser Bau Widerspruch und Engagement.
 

Ein Programmteam im Kreuzfeuer von Idealismus und Realität

Große öffentliche Aufmerksamkeit und emotionale Aufgeladenheit kennzeichneten die Ausgangssituation. Das bereichsübergreifend zusammengesetzte Programmteam nahm sich daher vor, möglichst viele Stimmen einzubeziehen, Deutungshoheit abzugeben, Unerwartetes zuzulassen, Widersprüche auszuhalten, Prozesse transparent zu kommunizieren – und bei alledem zugewandt und gesund zu bleiben. Zur weiteren Diversifizierung der Perspektiven stellten wir einen mehrmonatigen Design-Thinking-Prozess an den Anfang.[1] Design Thinking fokussiert auf die Bedürfnisse potenzieller Nutzer:innen, statt die Expertise der Entwickler:innen zu favorisieren. Viele Beziehungen, die hier geknüpft wurden, blieben über die folgenden Jahre bestehen und flossen in die Programmarbeit ein. Das Teamgefühl, das während der Design-Thinking-Arbeit entstand, half in den folgenden Jahren, Konflikte, Kritik und Krisen durchzustehen. Das Programmteam bewegte sich stets im Spannungsfeld der vertikalen und horizontalen Gliederungen der Organisation. Die systemischen weißen Dynamiken bei allen Entscheidungsfindungen blieben eine Herausforderung.
 

Erinnerungen und Netzwerke als Nährstoff

Einen wichtigen Anker des Programms bildete das wissenschaftliche Projekt Erinnerungsarbeit im Humboldt Forum (2021–2023). Im Rahmen dieses Projekts fanden Gespräche mit über hundert Personen statt, die von ihren Erfahrungen im geteilten und vereinten Deutschland erzählten. Erinnerungsarbeit ist als Beziehungsarbeit ein sozialer Prozess, geprägt von Emotionen, Vertrauen und Verantwortung. Wir konnten die Beziehungen vielfach fortführen und sie zu einem Netzwerk knüpfen. Interviewpartner:innen waren in verschiedenen Rollen am Programm beteiligt: als „kritische Begleiter:innen“, als Mitwirkende bei Veranstaltungen, als Expert:innen bei der Sammlungserfassung oder bei der Ausstellungsvorbereitung. Die Interviews bildeten eine wichtige Quelle für die Sonderausstellung, die Buchpublikation[2], das Theaterspektakel Bau auf! Bau ab! sowie Workshops und digitale Angebote. Rund 700 Zeichnungen, die das Duo graphicrecording.cool live anhand persönlich erzählter Geschichten schuf, spiegeln den intensiven Austausch wider. Viele Menschen gaben persönliche Erinnerungsstücke an die Stiftung Humboldt Forum, die mittlerweile eine größere Sammlung zum Palast der Republik besitzt. Ein eigener Blog, der 120 Beiträge von über 40 Autor:innen publizierte, erlaubte Blicke hinter die Kulissen.[3]
 

Begegnungen und Räume schaffen

Das Programm war eine Zeit des Austauschs und der Begegnung. Es sprach über einen Zeitraum von dreieinhalb Jahren mehr als 100.000 Menschen an, die unsere Veranstaltungen, die große neunmonatige Sonderausstellung und kleinere temporäre Installationen besuchten. Im Rahmen unserer Möglichkeiten konnten wir Räume schaffen, in denen Menschen ihre Erfahrungen und Perspektiven einbringen konnten. Die Stiftung Humboldt Forum wurde als eine Institution sichtbar, die sich ernsthaft ihrer Geschichte und Gegenwart annimmt. Die intensive Zusammenarbeit mit Partnern und die große Zahl von Besucher:innen haben uns gezeigt: Die Diskussionen über den Palast spiegeln die Veränderungen in Deutschland seit dem Ende des Kalten Krieges wider und bleiben auch in Zukunft relevant. Wir sind dankbar, dass so viele Menschen sich die Zeit nahmen, sich uns zu öffnen – und dass sie es wiederum schätzten, wenn wir zuhörten. Für einige Menschen ist das Humboldt Forum dadurch relevant geworden.

Credits und Zusatzinfos: 
Anmerkungen

[1] Judith Prokasky, Anke Schnabel, „Design Thinking im Museum. Ein Erfahrungsbericht aus dem Humboldt Forum in Berlin“, in: DASA Arbeitswelt Ausstellung, Professur für Museologie der Universität Würzburg, Institut für Museumsforschung (Hg.), Besser ausstellen! Innovative Wege der Konzeption und Evaluation von Ausstellungen, Bielefeld 2024, S. 121–127.
[2] Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss (Hg.), Hin und weg. Der Palast der Republik ist Gegenwart, Leipzig 2024.
[3] pdr.humboldtforum.org (13.08.2025)

Empfohlene Zitierweise
Judith Prokasky, Irene Knava: „Der Palast der Republik ist Gegenwart“. Ein Programmschwerpunkt im Humboldt Forum, in: neues museum 25/4, www.doi.org/10.58865/13.14/254/9
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