Demokratie im Graz Museum
Von:
Catalin Betz (Kuratorin, Graz Museum), Sibylle Dienesch (Direktorin, Graz Museum), Angela Fink (Leiterin Publikumsservice, Inklusion, Graz Museum), Graz
Verstärkt durch tagespolitische Ereignisse und aktuelle Entwicklungen tritt die Bedeutung von Demokratie wieder in den Vordergrund. Demokratische Strukturen bieten die Grundlage, unser Zusammenleben zu gestalten. Beteiligung und das ständige Aushandeln sind Voraussetzungen von Demokratie, gleichzeitig können die komplexen gesellschaftlichen Themen überfordern. Was braucht es also, damit Demokratie gelingt? Wo liegen ihre Grenzen?
Demokratische Strukturen finden sich in vielen Lebensbereichen. Welchen Beitrag können Museen für ein demokratisches Zusammenleben leisten? Auch für das Graz Museum und das Stadtarchiv Graz ist das Thema Demokratie seit 2023 im Fokus – sowohl inhaltlich als auch in der Weiterentwicklung der eigenen Organisation hin zu einem demokratischen Museum und Archiv. In einem fünfjährigen Prozess entsteht eine neue Kultur der Zusammenarbeit. Erprobt werden neue Formen des gemeinsamen Entscheidens, des Umgangs mit Konflikten und Meinungsunterschieden sowie eine erweiterte Fehlerkultur. Im Zentrum der sich verändernden Ablauforganisation steht die abteilungsübergreifende und rollenbasierte Zusammenarbeit. Sie erfordert umfassende soziale Kompetenzen, hohe Selbstreflexivität und kritisches Denken. Diese neue Form des Arbeitens verlangt es auch, Widersprüchlichkeiten zuzulassen, Mehrdeutiges auszuhalten und Differenz anzuerkennen – und sie braucht ein Team, das diesen Weg trägt. Das ist herausfordernd und bereichernd zugleich. Das aus dem Prozess Gelernte verändert auch die Beziehungen zu Besucher:innen und Akteur:innen in der Stadt: Es entwickelt sich ein dialogischer und einbeziehender Austausch, bei dem es nicht mehr nur um Wissensvermittlung, sondern um Diskurs und aktive Mitgestaltung geht.
2025 wird Demokratie im Graz Museum auch explizit als Jahresthema „Stadt und Demokratie“ sichtbar. Zwei dazu entwickelte Ausstellungen betonen, dass die Grundlage für Entstehung und Erhalt von Demokratie ein robuster institutioneller Rahmen ist, der auf Grund- und Menschenrechten sowie der Verfassung basiert. Darüber hinaus gilt es, gemeinsame Bilder des Zusammenlebens als Fundament eines demokratischen Selbstbewusstseins zu entwickeln und soziale wie kulturelle Räume für eine gelebte Demokratie zu schaffen.
Diese Haltung und dieser Blick auf Demokratie als Lebensform prägen die Ausstellung Demokratie, heast! und verbinden sie mit der Ausstellung Ins Ungewisse. Graz 1945–1965. Letztere erzählt den Weg der Demokratiewerdung vom Ende der NS-Diktatur über den wirtschaftlichen „Aufschwung“ der 1950er-Jahre bis hin zu relativem Wohlstand und einer stabilen, weitgehend demokratischen Gesellschaftsordnung 1965. Sie entwirft damit das Bild einer Gesellschaft im Spannungsfeld zwischen erlebter Gewalt und demokratischer Neuausrichtung.
Die Ausstellung Demokratie, heast! bietet niederschwellige, inklusive und diskursive Zugänge. Sie lädt ein, sich mit dem eigenen Demokratieverständnis auseinanderzusetzen, Werte und Meinungen zu hinterfragen, Antworten zu suchen oder neue Fragen aufzuwerfen. Sie braucht – wie Demokratie selbst – Beteiligung und Mitwirkung am gesellschaftlichen Leben. Unterschiedliche Meinungen und Herangehensweisen sind nicht nur zugelassen, sondern ausdrücklich erwünscht.
„Was bedeutet Demokratie für mich?“ Im Eingangsbereich von Demokratie, heast! entsteht seit April 2025 eine große, bunte Demokratie-Wand aus persönlichen Statements. Zusätzlich schwingen sich Besucher:innen auf einem Balance-Board auf das Thema ein. Schließlich ist auch Demokratie ständig in Bewegung und von permanentem Austausch und Aushandlungsprozessen geprägt – Stillstand gibt es nicht.
Inhaltlich spannt die Ausstellung einen weiten Bogen: von Teilhabe, Repräsentation und Grenzen der Demokratie über Sozial- und Rechtsstaat bis hin zu Medien und politischer Bildung. Informationstafeln mit aktuellen und historischen Bezügen vertiefen die Auseinandersetzung und verknüpfen die Inhalte konkret mit Graz. Besucher:innen werden regelmäßig durch Fragen angesprochen, die zum Dialog mit sich selbst und anderen anregen: „Bin ich Teil der Demokratie?“ heißt es im ersten Raum. „Was ist meine Stimme wert?“ und „Werde ich von Politiker:innen vertreten?“ sind Fragen im Themenbereich „Grenzen der Demokratie“ und „Repräsentation“.
Interaktions- und Partizipationsmöglichkeiten ziehen sich durch alle Räume. Sich mit Demokratie zu beschäftigen, ist herausfordernd: „Kennst du das Gefühl, dass dich ein Thema in seiner gesamten Komplexität überfordert und es schwer erscheint, alle Lücken zu schließen?“ – Rund 30 Glossarkarten erklären Grundbegriffe der Demokratie in einfacher Sprache. Die illustrierten Karten können während des Besuchs gesammelt und mitgenommen werden. Weitere inklusive Angebote sind Taststatistiken und -objekte.
Durch performatives Mitwirken erweitert und verändert sich die Ausstellung. Besucher:innen werden zu Akteur:innen: Sie hinterlassen Kommentare, teilen Erfahrungen, stimmen ab und tragen so zum Erleben der Räume und Inhalte bei. Die Interaktionen regen zum Nachdenken an und fördern den Austausch. Keine Belehrung, keine Warnung, keine Idealisierung – Aktivierung ist das Ziel. Neben Abstimmungsstationen mit Wahlkarte und Stickern finden auch spontane Besucher:innen-Interventionen wie handschriftliche Erweiterungen Platz. Gruppen wie Einzelpersonen eignen sich die Ausstellung zunehmend an und begreifen sie als Spielraum für Beteiligung – die Resonanz ist hoch.
„Welche Spielregeln sind mir wichtig?“ fragt der Bereich „Rechtsstaat und Grundrechte“. Plakate von Studierenden der FH Joanneum und der Staatlichen Akademie für Design und Kunst Charkiw sowie Beiträge des steirischen Kinderrechte-Song-Contests bieten kreative Auseinandersetzungen mit Menschen- und Kinderrechten. Und wie steht es um die Vermögensverteilung in Österreich? Gefährdet Ungleichheit die Demokratie? Soll ich gut leben – oder sollen alle gut leben?
„Piiieeep“ tönt es aus dem Nebenraum. Gerade hat sich jemand als politisch kompetent – oder nicht – eingestuft. Zwei große Buttons laden zur Selbsteinschätzung ein. Die Ja/Nein-Aussage „Ich bin politisch kompetent“ wird überraschend ausgeglichen beantwortet. Doch es stellen sich neue Fragen: „Wie viel muss ich über Demokratie wissen?“ und „Wie komme ich zu meiner Meinung?“ Im Mittelpunkt dieses Bereichs stehen Mediennutzung, Zensur, Pressefreiheit und politische Bildung. Kurzvideos einer Schulklasse thematisieren kritische Phänomene sozialer Medien. Welche Quellen nutze ich, um mich zu informieren, und wie stark beeinflusst meine Filterblase meine Meinung? Besonders beliebt ist der österreichische Staatsbürgerschaftstest, den Besucher:innen in einer Ausstellungsversion digital ausprobieren können. Was war noch gleich die Georgenberger Handfeste?
Gibt es die perfekte Demokratie? Im Bereich „Demokratie reflektieren?“ setzen sich Besucher:innen mit Demokratieindizes auseinander und lernen verschiedene Demokratieformen kennen. Hast du Erfahrungen mit einem politischen System im Ausland? Teile sie mit uns in der Ausstellung.
Der letzte Raum bietet Platz zum Verweilen, für Workshops, Austausch und vertiefende Literatur. Mit flexiblem Mobiliar lassen sich verschiedene Settings für Diskursformate herstellen. Hier entstehen Zukunftsszenarien (Futures Wheels) und Strategien für mehr Inklusion; es werden Wunschgesetze entworfen, gemalt, gebastelt, gespielt und mit Stadtbewohner:innen über Möglichkeitsräume des guten Zusammenlebens diskutiert.
Die beiden Ausstellungen des Jahresthemas „Stadt und Demokratie“ zeigen, dass es heute wie damals die Zwischenräume sind, in denen sich die städtische Gesellschaft formt und verändert. Hier wird Neues erprobt, verhandelt und erstritten. Die Auseinandersetzung mit der Lokalgeschichte regt an, über die heutige demokratische Entwicklung des städtischen Gemeinwesens nachzudenken: Wie wollen wir künftig Demokratie als Lebensform gestalten? Welche Räume braucht es, um über eine ungewisse Zukunft nachzudenken – und ortsspezifische Formen des demokratischen Zusammenlebens zu entwickeln?
Oder wie es Till von Rahden formuliert: „Wer ein Gemeinwesen der Freien und Gleichen will, in dem alle ohne Angst verschieden sein können, wird den Streit nicht fürchten. Umso mehr gilt es, jene Räume und Umgangsformen zu pflegen, die es ermöglichen, Spannungen und Unterschiede auszuhalten. Wir leben in einer Demokratie, die Herrschafts- und Lebensform ist. Es ist an uns, sie zu erhalten.“
Credits und Zusatzinfos:
Empfohlene Zitierweise
Catalin Betz, Sibylle Dienesch, Angela Fink: Was bedeutet es, als Museum demokratisch zu sein? Anmerkungen zum Museum als Hoffnungsraum, in: neues museum 25/4, www.doi.org/10.58865/13.14/254/6
Fotos: Sebastian Reiser
Ausstellungsgestaltung: MOOI DESIGN
Ausstellungsgestaltung: MOOI DESIGN
Empfohlene Zitierweise
Catalin Betz, Sibylle Dienesch, Angela Fink: Was bedeutet es, als Museum demokratisch zu sein? Anmerkungen zum Museum als Hoffnungsraum, in: neues museum 25/4, www.doi.org/10.58865/13.14/254/6








