
Besucher:innenmobilität
Von:
Sabine Fauland (Museumsbund Österreich), Online
Nachhaltigkeit im Museum zu leben, bedeutet auch, sich mit dem Mobilitätsverhalten der Besucher:innen auseinanderzusetzen. Insbesondere wenn es um die Erstellung einer aussagekräftigen und ehrlichen CO₂-eq-Bilanz geht. Doch einfach ist das bei weitem nicht. Wie die Besucher:innen anreisen entscheiden sie selbst und oft ist das Museum nicht das primäre Ziel ihrer Reise. Was also tun, um doch an valide Zahlen zu kommen, um dann Anreize setzen zu können, die greifen und positiv für das Klima sind.
Michael Jayasekara ist Gründer von vionmo, einer Boutique-Beratungsfirma, die sich auf Nachhaltigkeit in der Tourismus- und Freizeitwirtschaft spezialisiert hat. Mit seinem Team begleitet er eine Vielzahl an Projekten, die nachhaltige Entwicklungen in der Branche fördern. Dazu zählen u.a. die Nachhaltigkeitskriterien für den Tourismusinvestitionskredit des Tourismusstaatssekretariats und der OeHT, der Green Claims Leitfaden der Österreich Werbung sowie der ESG-Leitfaden der Österreichischen Hoteliervereinigung. Neben der CO2eq-Bilanzierung von Hotels und Großveranstaltungen wie dem Vienna City Marathon und AIRPOWER des Bundesheeres, liegt der aktuelle Schwerpunkt auf der Analyse und Veränderung des touristischen Mobilitätsverhaltens.
Globale Bedeutung des Verkehrssektors im Tourismus
Laut Prognosen der World Tourism Organization wird der Anteil der transportbezogenen Emissionen im Tourismus bis 2030 auf etwa zwei Milliarden Tonnen CO₂ steigen – dies entspricht rund fünf Prozent der weltweiten Emissionen. Schon 2016 wurden 1,2 Milliarden internationale Reisen gezählt; bis 2030 könnte sich diese Zahl nahezu verdoppeln. Der Verkehrssektor steht durch steigende Mobilitätsbedürfnisse und wachsende Destinationen vor enormen Herausforderungen, da herkömmliche Massentransportlösungen allein die Emissionsentwicklung nicht ausreichend bremsen können.
Einflussmöglichkeiten von Destinationen
Tourismusdestinationen haben nur begrenzt direkte Hebel, um CO₂-Emissionen zu senken: Lediglich etwa ein Prozent der Gesamtemissionen lässt sich am Zielort selbst beeinflussen. Der weitaus größte Anteil entsteht durch An- und Abreise der Reisenden, die bis zu 80 % der CO₂-Bilanz einer Reise ausmachen. Diese Erkenntnis verdeutlicht, dass lokale Strategien zur Angebotsgestaltung oder Infrastrukturoptimierung nur dann wirksam werden, wenn sie in eine integrierte Mobilitätsplanung eingebunden sind.
Herausforderungen bei der Datenerhebung
Für belastbare Analysen sind Primärdaten unerlässlich, doch ihre Erhebung ist mit Hürden verbunden. Zwar ermöglichen anonyme Telekommunikationsdaten die Erfassung von Besuchsströmen auf regionaler Ebene, sie geben jedoch keine Auskunft über das jeweils genutzte Verkehrsmittel. Zudem greifen Datenschutzbestimmungen: Erst ab einer Gruppengröße von 20 Reisenden aus derselben Postleitzahl dürfen Daten ausgewertet werden, wodurch gerade kleinere Sehenswürdigkeiten oft nicht berücksichtigt werden können. Um hier Abhilfe zu schaffen, wurden verschiedene Kooperationen mit Mobilfunkanbietern angeregt, die anonymisierte und aggregierte Datenschnittstellen bereitstellen.
Praxisbeispiel „Guest Mobility Ticket“-Salzburg
Seit dem 1. Mai 2025 ist in Salzburg das Guest Mobility Ticket eingeführt, das Übernachtungsgästen für nur 0,50 € pro Person den kostenlosen Zugang zu allen öffentlichen Verkehrsmitteln der Region ermöglicht. Ziel ist es, den Anteil des klimafreundlichen Reisens zu erhöhen und zugleich aussagekräftige Daten über das Mobilitätsverhalten zu generieren. Für die Evaluation arbeiten Michael Jayasekara und das Team vionmo und der Verkehrsverbund Salzburg eng zusammen: Die Verkehrsunternehmen liefern fahrgastbezogene Kennzahlen (z. B. Einsteigezahlen pro Linie und Zeitraum), während parallel Gäste per kurzer Online-Umfrage ihre Reisewege und -gründe rückmelden. So lässt sich nicht nur messen, wie stark der Anteil der Nahverkehrsnutzung im Vergleich zu vorherigen Monaten gestiegen ist, sondern auch, welche Gästesegmente (z. B. Familien, Geschäftsreisende, Gruppenreisende) das Ticket besonders intensiv nutzen.
Zukünftige Mobilitätslösungen
Im Bereich der zukünftigen Mobilitätslösungen nach 2030 kristallisieren sich drei zentrale Entwicklungsstränge heraus, die das Potenzial haben, den öffentlichen Verkehr und individuelle Mobilität im Tourismus grundlegend zu verändern.
1 – Zum einen werden Städte zunehmend von klimapolitischen Maßnahmen geprägt, die den motorisierten Individualverkehr einschränken und Raum für alternative Verkehrskonzepte schaffen. Ein prominentes Beispiel ist Paris, wo verkehrsberuhigte Zonen und temporäre Sperrungen die Feinstaubbelastung deutlich reduziert und die Lebensqualität merklich gesteigert haben; ähnlich gestaltete Barcelona mit seinen „Superblocks“ größere Straßenzüge fahrrad- und fußgängerfreundlich um. In skandinavischen Ländern und den Niederlanden sind solche Konzepte bereits weiter fortgeschritten, was zeigt, dass flächendeckende Umgestaltungen möglich sind und zugleich einen starken Impuls für nachhaltige Mobilität geben.
1 – Zum einen werden Städte zunehmend von klimapolitischen Maßnahmen geprägt, die den motorisierten Individualverkehr einschränken und Raum für alternative Verkehrskonzepte schaffen. Ein prominentes Beispiel ist Paris, wo verkehrsberuhigte Zonen und temporäre Sperrungen die Feinstaubbelastung deutlich reduziert und die Lebensqualität merklich gesteigert haben; ähnlich gestaltete Barcelona mit seinen „Superblocks“ größere Straßenzüge fahrrad- und fußgängerfreundlich um. In skandinavischen Ländern und den Niederlanden sind solche Konzepte bereits weiter fortgeschritten, was zeigt, dass flächendeckende Umgestaltungen möglich sind und zugleich einen starken Impuls für nachhaltige Mobilität geben.
2 – Parallel sieht Michael Jayasekara im ländlichen Raum ein Paradigmenwechsel langfristig abzeichnen: Klassische Buslinien, die häufig mit geringer Auslastung und starren Fahrplänen betrieben werden, werden (sobald in Europa zugelassen) durch autonome Kleinfahrzeuge („Pods“) und On-Demand-Mikro-Shuttles ergänzt werden. Erste Beispiele dafür gibt es bereits in Hamburg mit MOIA. Diese flexiblen Systeme sind in der Lage, Angebot und Nachfrage per Echtzeit-Datenabgleich zu optimieren, leere Fahrten zu minimieren und gleichzeitig eine direkte Verbindung zwischen abgelegenen Points of Interest und zentralen Verkehrsknotenpunkten herzustellen. Gerade in dünn besiedelten Regionen, in denen sich große Busse oft nicht rechnen, können solche Pods eine tragfähige Alternative bieten und helfen, den Individualverkehr auf ein Minimum zu reduzieren.
3 – Eine dritte Vision betrifft die digitale Integration multimodaler Mobilitätsplanung: Reisende sollen ihre gesamte Route – vom Fernzug über lokale Busse bis zur letzten Meile per Bike-Sharing oder Fußweg – in nur einer App planen, buchen und bezahlen können. Damit wird nicht nur der Komfort erhöht, sondern es entsteht ein datenbasiertes Ökosystem, das Verkehrsunternehmen, Destinationen und Tourismusbetriebe miteinander verknüpft.
In Summe eröffnet die Kombination aus städtebaulichen Maßnahmen, autonomen On-Demand-Systemen und einer nahtlosen digitalen Vernetzung völlig neue Möglichkeiten, Mobilität im Tourismus nicht nur umweltfreundlicher, sondern auch deutlich benutzerfreundlicher zu gestalten. Die Herausforderung besteht nun darin, diese Technologien in bestehende Verkehrsnetze zu integrieren, Regulierungsrahmen anzupassen und Interoperabilität zwischen verschiedenen Anbietern sicherzustellen – nur so kann die Vision einer klimafreundlichen, flexiblen und vernetzten Mobilität Wirklichkeit werden.
Rolle von Kulturinstitutionen
Die Rolle von Kulturinstitutionen wandelt sich zunehmend dahin, nicht nur als bloße Anziehungspunkte für Besucher zu fungieren, sondern aktiv als Wegbereiter für klimafreundliche Mobilität aufzutreten.
Im Zentrum steht dabei die bewusste Gestaltung von Online- und Offline-Kommunikation: Bereits bei der Buchung sollten Museen und Theater das Thema „Public Transport First“ prominent verankern – „So erreichen Sie uns mit öffentlichen Verkehrsmitteln“ – verbunden mit interaktiven Karten, Echtzeit-Fahrplanauskünften. Auf den eigenen Kanälen (Webseite, Social Media, Newsletter) empfiehlt es sich, solche Hinweise nicht als Randnotiz, sondern als festen Programmpunkt zu führen – zum Beispiel unter einem Menüpunkt „Anreise & Mobilität“ mit klaren Routenvorschlägen per Bus, Bahn, Fahrrad oder zu Fuß.
Auf operativer Ebene spielen Kooperationen mit Verkehrsverbünden eine Schlüsselrolle: Mehrere Salzburger Kulturinstitutionen – etwa die Salzburger Festspiele – geben ihre Eintrittskarten gleichzeitig als ÖPNV-Ticket aus, das ganztägig und landesweit gültig ist. Diese sogenannte Kombi-Lösung mindert für Gäste die Hürde, anders als beim Pkw erst ein zusätzliches Ticket lösen zu müssen, und steigert die Nutzung von Bus und Bahn deutlich. Grundlage solcher Modelle sind belastbare Nutzungsdaten, die Museen mithilfe kurzer Besucher:innenbefragungen und anonymisierter Fahrgastzahlen erheben und sowohl Tages- als auch Übernachtungsgäste unterscheiden. Nur so können sie gegenüber dem Verkehrsverbund argumentieren, wer wie viele Fahrten tatsächlich gemacht hat und die Pauschalvergütung fair verteilen.
Schließlich eröffnet die aktive Einbindung vor Ort weitere Potenziale: QR-Code-gestützte Kurzbefragungen am Empfang oder in Wartebereichen liefern nicht nur Einblicke ins Mobilitätsverhalten der Zielgruppen, sondern dienen zugleich als Sensibilisierungsinstrument. Eine gamifizierte Komponente (z. B. ein kleines Gewinnspiel) erhöht die Teilnahmequote und generiert zudem Opt-In-Kontaktdaten für Folgekommunikation. vionmo bietet solche Umfragen an, die auch mit einem interaktiven Dashboards verbunden sind, etwa um die Wirkung neuer Serviceangebote oder Mobilitätspakete unmittelbar zu prüfen und bei Bedarf nachzusteuern. Damit übernehmen Kulturinstitutionen nicht nur eine Vorbildfunktion, sondern werden selbst zu Motoren eines integrierten, datenbasierten Mobilitätswandels.
Methodik: Das psychologische Kombimodell
Das psychologische Kombimodell bildet die theoretische Grundlage für die Verhaltensanalyse und -steuerung der Besucher:innen im Kontext nachhaltiger Mobilität der Firma. Es verbindet drei zentrale Dimensionen, die gemeinsam das Reiseverhalten erklären und beeinflussen:
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Fähigkeit (Capability)
In der Komponente „Fähigkeit“ wird untersucht, inwieweit Gäste über das notwendige Wissen und die praktischen Fertigkeiten verfügen, um klimafreundliche Verkehrsmittel zu nutzen. Hierzu gehört beispielsweise die Kenntnis lokaler Fahrpläne, das Verstehen digitaler Ticketing-Apps oder die Fähigkeit, Fahrradverleihsysteme zu bedienen. -
Gelegenheit (Opportunity)
Die Dimension „Gelegenheit“ erfasst die konkreten äußeren Bedingungen, die eine klimafreundliche Mobilität ermöglichen oder behindern. Dazu zählen die Verfügbarkeit und Erreichbarkeit von Haltestellen, Taktzeiten im öffentlichen Nahverkehr sowie das Vorhandensein sicherer Abstellmöglichkeiten für Fahrräder. -
Motivation (Motivation)
Die dritte Säule, „Motivation“, beleuchtet die psychologischen Anreize und Überzeugungen, die das Mobilitätsverhalten steuern. Hier spielen sowohl altruistische Motive – etwa der Wunsch, einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten – als auch persönliche Komfort- und Kostenüberlegungen eine Rolle.
Durch die gleichzeitige Fokussierung auf diese Aspekte wird eine ganzheitliche Betrachtung ermöglicht, die sowohl individuelle Kompetenzen als auch externe Rahmenbedingungen und persönliche Antriebe berücksichtigt.
Durch die Kombination von Capability, Opportunity und Motivation liefert das Modell nicht nur eine Diagnose bestehender Barrieren und Hemmnisse, sondern auch konkrete Ansatzpunkte für Interventionen. So können Informationskampagnen gezielt Wissenslücken schließen, infrastrukturelle Investitionen dort ansetzen, wo die Gelegenheit am geringsten ist, und Motivationsstrategien (wie Rabatte oder Gamification) passgenau auf unterschiedliche Zielgruppen abgestimmt werden. Dies macht das psychologische Kombimodell zu einem effektiven Instrument für die Verhaltensänderung, Planung und Evaluation von Maßnahmen zur Förderung nachhaltiger Mobilität im Tourismus.
Das Team von vionmo berät gerne sowie setzt solche Besucher:innenbefragungen für Museen auf und begleitet diese.
Case Study Salzwelten Salzburg
In den Salzwelten Salzburg wurden 47.000 Gästen 2.395 vollständige Datensätze gewonnen, was eine statistische Aussagekraft mit einem Fehlerintervall von ± 2 % ermöglichte. Die Auswertung zeigte, dass nur 15 % mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreisten, während der Großteil den PKW nutzte. Internationale Besucher:innen verursachten teilweise bis zu 3,6 t CO₂ je Teilnehmer, abhängig von Herkunftsland und Entfernung. Diese Daten bilden die Basis für gezielte Kommunikationskampagnen und Infrastrukturinvestitionen. Aus dem Pilotprojekt ergaben sich wertvolle Erkenntnisse zur Datengenauigkeit: Reisegruppen führen zu Mehrfachantworten, die manuell bereinigt werden müssen, ältere Zielgruppen beteiligen sich seltener digital.
Emissionszuordnungsmethode
Für die Verteilung der Gesamtemissionen einer Reise auf einzelne Aufenthalte eignet sich eine pro-rata-Berechnung vor: Die CO₂-Last wird proportional zur Aufenthaltsdauer auf die besuchten Einrichtungen verteilt. Anhand eines Beispiels – einer vierköpfigen Familie aus Neu Delhi mit einer Aufenthaltszeit von 72 Stunden in Wien, davon vier Stunden in Schloss Schönbrunn – ergab sich eine Emission von circa 224 kg CO₂ für den Besuch. Diese Methode schafft Transparenz über individuelle Beiträge zur Klimabilanz.
Fazit und Ausblick
Datengetriebene Transparenz sind wichtig und steigern Verhandlungsmacht gegenüber Verkehrsverbünden, verbessern die Gästezufriedenheit und eröffnen neue Marketing- und Infrastrukturpotenziale. Bis 2030 soll es möglich sein, die „wahren Kosten des Tourismus“ vollumfänglich abzubilden und so einen nachhaltigen Mobilitätswandel aktiv zu gestalten.