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Archivierbarkeit von Recyclingpapieren?
Hinweise zur Beschaffung von Papier für die öffentliche Verwaltung
Von: KLUG-CONSERVATION, Immenstadt

Ein Anliegen der öffentlichen Verwaltung ist es, „umweltverträgliches Papier“ mit einem größtmöglichen Altpapieranteil zu verwenden. Nur ein Teil der auf derartigen Papieren ausgefertigten Dokumente gelangt später tatsächlich zur langfristigen Aufbewahrung ins Archiv. Um dauerhaft alterungsbeständig zu sein, muss ein Papier die Norm DIN EN ISO 9706 zwingend erfüllen. 

Im Februar 2014 hat in Deutschland das Umweltbundesamt unter dem Leitspruch „Recyclingpapier mit Blauem Engel ist alterungsbeständig und fördert die Kreislaufwirtschaft“ ein Positionspapier zur Archivierbarkeit von Recyclingpapier veröffentlicht. Dabei konterkariert dessen Inhalt die seit Jahrzehnten international und national vertretene fachliche Argumentation der Archive und Bibliotheken, ohne neue Erkenntnisse zu liefern.
         

Papierabbau – die schleichende Katastrophe

Große Teile des schriftlichen Kulturerbes sind durch die schleichende Katastrophe des alterungsbedingten Papierabbaus bedroht. In deutschen Archiven öffentlich-rechtlicher Träger ist laut einer 2013 durchgeführten Expert:innenbefragung Kulturgut umgerechnet mit einer Regalfachlänge von etwa 1.500 km davon betroffen und nur mehr eingeschränkt oder nicht mehr benutzbar. Gründe dafür liegen in der Zusammensetzung der industriell hergestellten Papiere und deren Produktionsverfahren.

Nur in Deutschland finden derzeit zwei Normen unter dem Begriff „alterungsbeständiges Papier“ Anwendung, das sind die DIN 6738 und die DIN EN ISO 9706 – eine Stoffnorm. Nur DIN EN ISO 9706 widmet sich explizit den „Voraussetzungen für die Alterungsbeständigkeit“ von ungestrichenen Papierqualitäten. Neben Mindest-Festigkeitseigenschaften benennt diese Norm Anforderungen an die Papierzusammensetzung bezüglich Alkalireserve und Abwesenheit oxidierbarer Substanzen, d. h. u. a. Restlignin und reduzierbarer Schwefel (Kappa Zahl < 5 nach ISO 302:2015). Außerdem ist ein pH im Kaltwasser-extrakt gemäß ISO 6588-1:2012 von mindestens 7,5 festgeschrieben. 

Vertreter der Papierindustrie, dominiert vom Normenausschuss Papier und Pappe (NPa 21), entwickelten die DIN 6738:2007, mit der auch Recyclingpapiere am Markt positioniert werden sollen. Die Norm benennt als Kriterium ausschließlich die Stabilität von Festigkeitseigenschaften, die im Anschluss an eine künstliche Alterung (80 °C/65 % rF) geprüft werden und leitet daraus so genannte Lebensdauer-Klassen ab. Papiere der höchsten Lebensdauer-Klasse (LDK 24-85), das sind solche, bei denen mindestens 85 % der in der Norm festgelegten Mindestfestigkeiten nach der künstlichen Alterung von 24 Tagen erhalten bleiben, dürfen nach DIN 6738 „alterungsbeständig“ genannt werden. Allerdings wird in dieser Norm ausdrücklich darauf verwiesen, dass der Anspruch der Alterungsbeständigkeit nach LDK 24-85 „nur unter der Bedingung einer schonenden Behandlung und Lagerung erfüllt wird“ und verweist außerdem auf den Stand der Technik, wonach „ungestrichene Papiere diese Lebensdauerklasse erreichen, wenn sie einen pH im Kaltextrakt  zwischen 7,5–9,5 aufweisen, ausschließlich aus gebleichtem Zellstoff und /oder Hadern bestehen und einen Calciumcarbonatgehalt von mindesten 2 % (w/w) aufweisen“ (DIN 6738:2007, Anmerkung 1). 

Tatsächlich enthalten Recyclingpapiere produktionsbedingt einen hohen Anteil oxidierbarer Stoffe, wie u. a. Lignine, die zur schädigenden Säurebildung beitragen. Für diese benennt nur die DIN EN ISO 9706 Obergrenzen. Der Zusatz einer hohen alkalischen Reserve verlangsamt schließlich nur die saure Hydrolyse eines Papiers. Restligningehalte verursachen Säurebildung im Papier und sind auch dafür verantwortlich, dass Papier sehr schnell vergilbt und nachdunkelt. 
  
Das erschwert nicht nur die Lektüre des Originals, sondern auch die Digitalisierung und Mikroverfilmung. Der Vorschlag eine neue ISO-Norm allein zur „mechanischen Dauerhaftigkeit“ von Papier zu erarbeiten – mit der Argumentation, dass die optischen Eigenschaften für die meisten Anwendungen keine Rolle spielen – wurde vom Komitee für Papiertechnik abgelehnt mit dem Verweis auf die gültige DIN EN ISO 9706.
 

Schäden vermeiden ist wirtschaftlicher als Schäden beheben  

Beim preislichen Vergleich alterungsbeständiger Papiere nach DIN EN ISO 9706 mit Recyclingpapieren, die diese Norm nicht erfüllen, ist kein signifikanter Unterschied zu erkennen. Allerdings führt die Verwendung von ungeeignetem Recyclingpapier zu einem hohen technischen, organisatorischen und finanziellen Folgeaufwand. Auch die Öko-Bilanz so genannter „umweltverträglicher Papierqualitäten“ wäre zumindest zu hinterfragen. Nach dem Blauen Engel zertifizierte Papiere müssen für eine Langzeitverwahrung im Archiv erst stabilisiert werden, möglicherweise sogar in einem kostenintensiven und aufwendigen Mengenverfahren entsäuert werden. Die Entsäuerung eines laufenden Regalmeters Archivgut kostet je nach geeignetem Verfahren zwischen 1.000 und 1.300 €. Allein zu erwartende Mehrkosten für die Entsäuerung nicht alterungsbeständiger Papiere würde die Etats der Archive für Erhaltung des verwahrten Kulturguts bei weitem übersteigen und außerdem zu ökologischen Belastungen durch den Einsatz von Chemikalien führen.

Der Blaue Engel – Alterungsbeständigkeit und DIN EN ISO 9706 sind unvereinbar  

Vollständig unvereinbar sind die Anforderungen der DIN EN ISO 9706 mit den Anforderungen an Recyclingpapier, das mit dem Blauen Engel als „umweltverträgliches Papier“ ausgezeichnet ist, weil die dafür geforderten Qualitäten nicht nur aus 100 % Altpapier bestehen, sondern diese Altpapiere auch mindestens 65 % sogenannte „untere und mittlere Papiersorten“ enthalten müssen. Von diesen Papieren 
kann keine für eine Langzeitarchivierung ausreichende Beständigkeit erwartet werden, wie einer Untersuchung der Library of Congress aus dem Jahr 2014 zu entnehmen ist. 

Zwar kann auch für Papierproduktion nach DIN EN ISO 9706 Altpapier eingesetzt werden, allerdings muss es sich um so genannte „bessere“ Altpapierqualitäten handeln, z.B. um Primärfaserstoffe aus der Papierherstellung oder Altpapierqualitäten, die ausschließlich aus gebleichtem Zellstoff und /oder Hadern bestehen. Solche Recyclingpapiere können aber nicht mit dem Umweltzeichen Der Blaue Engel zertifiziert werden. Diese Hürde stellt einen großen Nachteil für Anbieter, die technisch die Spezifikationen zwar erfüllen können, aber sich nicht der Zertifizierung für das Umweltzeichen Der Blaue Engel unterworfen haben, am Markt dar. Ausschreibungen, die das Umweltzeichen Der Blaue Engel als Ausschlusskriterium voraussetzen, sind vergaberechtlich nicht zulässig.
 

Fazit 

In der öffentlichen Verwaltung kann nur durch die konsequente Verwendung von alterungsbeständigen Papieren nach DIN EN ISO 9706 erreicht werden, dass die Menge entsäuerungsbedürftigen, unikalen Kulturguts nicht unaufhaltsam weiterwächst. Recyclingpapier, das diese Norm nicht erfüllt, darf in Verwaltungen oder deren Organisationseinheiten nur eingesetzt werden, wenn die Papiere nicht  archiviert werden müssen. Der wirksamste ökologische Beitrag ist der sparsame Einsatz von Papier auf allen Ebenen!


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